Interview. “Obwohl die slowenischen Behörden sagen, das Migrant*innen uns als Transitland betrachten, gibt es viele, die bleiben wollen.” Zana Fabjan Blažič. Mitglied der Aktivist*innengruppe Ambasada Rog. Im Hintergrund ist ein Bild zu sehen von Zana Fabjan Blažič mit Mikrofon in der Hand auf einem Podium.
Foto: Črt Piksi

>>> This Interview was translated into German. You find the original interview in English underneath the translated version.

Wie Geflüchtete für ein Leben in Slowenien kämpfen

Interview mit Zana Fabjan Blažič von Ambasada Rog

Obwohl Slowenien oft als Transitland angesehen und behandelt wird, das Menschen auf der Flucht nur durchqueren, um in andere EU-Staaten zu kommen, gibt es viele Geflüchtete, die bleiben wollen. Das berichtet Zana Fabjan Blažič. Sie ist eine der wenigen slowenischen Mitstreiter*innen von “Ambasada Rog”. Die Gruppe hat sich 2015 als Teil der “Refugees Welcome”-Bewegung in Ljubljana gegründet. Seitdem hat sie sich zu einer Selbstorganisation von Geflüchteten und Migrant*innen entwickelt, mit etwa einhundert aktiven Mitgliedern.

Upstream: Wofür kämpft Ambasada Rog?

Zana Fabjan Blažič: Wir befassen uns mit allem: von Asyl, Abschiebungen und Dublin-Bescheiden bis hin zur Unterstützung von Menschen in ihrem Alltag. Das sind typische Themen, wenn man sich mit Migration befasst. Und wir sind ziemlich effektiv.

Welche Erfolge hat die Arbeit von Ambasada Rog erreicht?

Die generelle Situation in Europa hat sich nicht geändert oder wird sogar schlimmer. Aber wir haben viele Abschiebungen verhindert. Wir haben Menschen geholfen, Papiere und Genehmigungen zu bekommen. Wir haben verschiedene Kampagnen durchgeführt, von denen eine gerade erst erfolgreich war: Wir haben erreicht, dass die Zeit, bis Asylbewerber*innen eine Arbeitserlaubnis bekommen, von neun Monaten auf drei gesenkt werden soll. Momentan sind wir mitten in einer Kampagne gegen Dublin-Abschiebungen nach Kroatien.

Was ist eine “Dublin-Abschiebung”?

Laut der Dublin III-Regel ist der EU-Staat für den Asylantrag einer Person zuständig, in dem diese zuerst registriert worden ist. Durch diese Regel haben Länder an den EU-Grenzen, besonders im Südosten der EU, üblicherweise mehr Anträge zu bearbeiten als andere. Wenn, wie in den Fällen, um die es in diesem Interview geht, eine Person zuerst in Kroatien registriert wurde und dann nach Slowenien einreist, kann Slowenien sie nach Kroatien abschieben. Das nennt man eine Dublin-Abschiebung. Hat Kroatien seine Verantwortung für den Fall bestätigt, muss die Abschiebung spätestens sechs Monate danach stattfinden. Ansonsten müsste Slowenien den Asylantrag bearbeiten.

Ob ein EU-Staat Dublin-Abschiebungen durchführt oder nicht, ist seine eigene Entscheidung. Laut Artikel 17 des Dublin-Abkommens sind die Staaten nicht verpflichtet, die Asylbewerber*innen abzuschieben. Sie können die Anträge auch selbst bearbeiten.

Warum kämpfen Sie gegen die Dublin-Abschiebungen?

Von 2018 bis 2021 hat Slowenien Pushbacks nach Kroatien durchgeführt. Die kroatische Polizei hat die Menschen dann zurück nach Bosnien geschickt. 2021 war Kroatien dann kurz davor, Teil des Schengen-Raums zu werden. Kroatien konnte sich allzu viel Buzz rund um Menschenrechtsverletzungen nicht mehr erlauben und hat die Pushbacks von Slowenien nicht mehr akzeptiert. Darum hat Slowenien angefangen, Dublin-Abschiebungen durchzuführen. Fast alle Geflüchteten, die über Kroatien nach Slowenien kommen und dort bleiben wollen, werden zur Rückkehr aufgefordert. Es ist also praktisch das gleiche wie 2021, nur dass jetzt sechs Monate vergehen, von der Ankunft der Menschen in Slowenien, bis sie wieder zurückgeschickt werden. Als all das begonnen hat, haben sich viele Geflüchtete entschieden, Slowenien zu verlassen und weiter in andere europäische Länder zu ziehen. Sie waren isoliert und wussten nichts voneinander. Dann haben wir in unserer Gruppe festgestellt, wie viele Menschen so einen Dublin-Bescheid bekommen haben und dass niemand von ihnen Slowenien verlassen wollte. Mit so vielen Menschen konnten wir beginnen, zu kämpfen.

Wie kämpft Ambasada Rog?

Wir haben vor etwa sechs Monaten mit einer Medienkampagne begonnen. Seit etwa drei Monaten stoßen wir das Thema weiter an, mit Konferenzen, Protest und damit, dass wir Abschiebungen verhindern. Zwischen 50 und 60 Menschen kommen jede Woche zu unseren Treffen, die meisten sind Migrant*innen und Geflüchtete. Das sind viele für Slowenien. Wir sprechen über Probleme. Dann suchen wir gemeinsam nach Lösungen.

Demonstrationszog der Aktivist*innen von Ambasada Rog in Ljubljana, Slowenien. Auf dem Transparent steht auf slowenisch: Arbeitserlaubnisse – keine Abschiebungen
“Arbeitserlaubnisse – keine Abschiebungen”, dafür demonstrieren die Aktivist*innen von Ambasada Rog in Ljubljana. Foto: Črt Piksi

Welchen Effekt hat das?

Bisher ignorieren uns die Regierung und das Innenministerium. Sie sagen, was sie machen, sei legal. Gleichzeitig haben wir aber schon Veränderungen bewirkt. Ich habe das Gefühl, dass die Behörden Abschiebungen nicht mehr so stark durchsetzen, dass sie versuchen, die Lage zu beruhigen. Sie benachrichtigen Menschen, dass sie abgeschoben werden sollen, wir blockieren die Abschiebung – und dann passiert nichts. Einige Menschen können bleiben, weil der Termin für ihre Abschiebung verstreicht. Trotzdem werden wir nicht aufhören, bis wir politische Antworten bekommen, bis alle, die bleiben wollen, bleiben können.

Wie ist die Situation für Geflüchtete in Slowenien?

Slowenien hat im Prinzip offene Grenzen – nicht offiziell, aber inoffiziell ist es einfach, herzukommen, und noch einfacher, wieder zu gehen. Obwohl die slowenischen Behörden sagen, dass Migrant*innen uns als Transitland betrachten, gibt es viele, die bleiben wollen. Sie sind hergekommen, es gefällt ihnen, sie haben Freund*innen gefunden und wollen bleiben. Aber das ist schwer. Das slowenische Einwanderungssystem entwickelt sich nicht. Die Asylunterkünfte haben immer noch die gleiche Kapazität wie 2015.

Wie würde es das Leben eines Menschen beeinflussen, wenn er nach Kroatien abgeschoben wird?

Kroatien ist kein freundlicher Ort für Geflüchtete. Sie erfahren dort Gewalt durch die Polizei, die sie jederzeit nach Bosnien bringen kann. Bei vielen Geflüchtete, die aufgrund einer Dublin-Entscheidung nach Kroatien abgeschoben werden, wird der Asylantrag als Zweitantrag behandelt. Das bedeutet, dass die Behörden nicht ihre ganze Geschichte anhören, weshalb sie überhaupt Asyl beantragt haben, sondern nur, was seit dem ersten Antrag passiert ist. Natürlich ist nichts Neues passiert. So landen viele Menschen in einem bürokratischen Prozess, durch den sie sofort abgelehnt werden.

Wie beeinflusst dieser Kampf die Gesundheit?

Während Geflüchtete darauf warten, dass ihr Asylantrag bearbeitet wird, bekommen sie nur medizinische Notfallversorgung. Wenn sie ihren Status bekommen, haben sie den gleichen Zugang zum Gesundheitssystem wie Slowen*innen. Wenn sie darauf aber lange warten müssen, wenn sie immer wieder abgelehnt werden und jahrelang kämpfen müssen, verschlechtert sich ihre Gesundheit. Da ist der Fall von Ahmad Shamieh, der nach zwei Jahren Kampf gegen seinen Dublin-Bescheid endlich gewonnen hat. Er hat so viel Stress erlebt, dass seine Gesundheit ruiniert ist. Er ist gesund hierher gekommen. Dann hat das System ihn krank gemacht.

Der Fall von Ahmad Shamieh

Ahmad Shamieh ist 2016 von Syrien nach Slowenien geflüchtet. Dort wurde er zum “bekanntesten Geflüchteten”, schreibt Jelka Zorn, Dozentin an der Universität Ljubljana, in einem Paper über seinen Fall. Shamieh und Aktivist*innen von Ambasada Rog haben mehr als zwei Jahre lang politisch und juristisch dafür gekämpft, dass sein Asylantrag anerkannt wird. Erst nach fünf Jahren konnten seine Ehefrau und vier Kinder nach Slowenien nachkommen. Zorn beschreibt in ihrem Paper diesen Kampf und welche Effekte er sowohl politisch als auch auf Shamieh und dessen Mitstreiter*innen hatte.

Unterstützen Slowenische Staatsbürger*innen Geflüchtete, die bleiben wollen?

Zahlreiche Menschen in diesem Kampf sind Migrant*innen. Das ist gut. Aber ich bin ein bisschen enttäuscht von den Slowen*innen. Als wir 2015 eine ähnliche Situation hatten, gab es viel mehr Unterstützung durch die Gesellschaft. Es war die Zeit des Balkankorridors und der “Refugees Welcome”-Bewegung. Menschen aus allen Bereichen haben sich eingebracht. Jetzt ist es ein marginalisiertes Thema. Trotzdem arbeiten wir an Netzwerken, zum Beispiel zu Gewerkschaften und aktivistischen Organisationen.

Was sind die nächsten Pläne von Ambasada Rog?

Es wird neue Themen geben. Wie gesagt, wir haben gerade erst erfolgreich dafür gekämpft, dass Geflüchtete schon nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen. Jetzt haben in unserer Gruppe 50 Mitglieder gleichzeitig eine Anstellung bekommen, einige bei den gleichen Unternehmen. Ich zweifel daran, dass diese Unternehmen sie nicht ausbeuten werden. Diese Arbeiter*innen werden sich organisieren müssen. Aber erstmal müssen wir den Kampf gegen die Dublin-Abschiebungen gewinnen. Es ist ein schwerer Kampf, der bisher noch nirgendwo in Europa erfolgreich gewesen ist. Aber wir werden es irgendwie schaffen.


Interview. “Even if Slovenian authorities say that migrants would treat us like a transit country, there are many people who want to stay.” Zana Fabjan Blažič. Member of the activist group Ambasada Rog. In the background you see Zana Fabjan Blažič holding a microphone at a panel discussion.
Foto: Črt Piksi

How refugees are self-organizing their fight for a life in Slovenia

Although Slovenia is often seen and treated as a transit country for refugees who want to get to other European countries, there are many migrants who want to stay, says Zana Fabjan Blažič. Zana is one of the few Slovenian members of “Ambasada Rog”. The group based in Ljubljana formed itself as part of the “Refugees Welcome” movement in 2015. Since then, the migrant organization has gathered about a hundred active members.

Upstream: What is Ambasada Rog fighting for?

Zana Fabjan Blažič: We deal with everything from asylum to deportations and Dublin decisions to supporting people in their everyday life. These are typical topics when you’re working with migration. And we have been quite effective.

Demonstration by the activists of Ambasada Rog in Ljubljana, Slovenia. On the transparent is written in Slovenian: Work permits – no deportations
“Work permits – no deportations”, these are the demands of Ambasada Rog’s protests. Photo: Črt Piksi

How has your work been successful?

While the general situation in Europe hasn’t really changed or is getting worse, we have managed to prevent many deportations. We’ve helped people to get papers and permits. We have carried out several campaigns, one has just been successful: We’ve managed to reduce the time it takes for asylum seekers to get a work permit, from nine months down to three months. Currently, we are in the middle of a campaign against the Dublin deportations to Croatia.

What’s a “Dublin deportation”?

According to the Dublin III Regulation, the EU-Member State responsible for a person’s asylum application is the state where the person got registered first. So typically the states at the European borders, especially in the southeast, have to handle more asylum requests than others. If a person who, in this case, got registered in Croatia first but managed to get to Slovenia, Slovenia can deport them back to Croatia. This is called a Dublin deportation. It would have to take place within six months after Croatia confirms its responsibility for the case. Otherwise, Slovenia would have to handle the request.

Whether or not an EU-state carries out Dublin deportations is its own choice. According to article 17 of the Dublin III Regulation, each member state is allowed to take responsibility for an asylum seeker’s request and isn’t required to send them back to where they first got registered.

Why do you fight Dublin deportations?

From 2018 to 2021 Slovenia was doing pushbacks to Croatia. The Croatian police sent people back to Bosnia. In 2021 Croatia was about to join the Schengen zone. Therefore, they couldn’t have too much buzz about the violations of human rights and didn’t accept pushbacks from Slovenia anymore. So Slovenia started to rely more on Dublin deportations again. Almost every refugee who comes to Slovenia from Croatia and tries to stay is ordered to return. So it’s basically the same as it was until 2021, except that now it takes six months from the time people arrive in Slovenia until they are sent back. When this started to happen, many refugees decided to leave Slovenia and went to other European countries. The refugees were isolated and didn’t know about each other. Until we finally realized amongst our group that there are many people who have gotten these Dublin decisions and nobody wanted to leave Slovenia. By getting a big number of people together, we could finally start a fight.

How do you fight?

We started around six months ago with a media campaign. For three months now we’ve been pushing the issue with conferences, protests and physically stopping deportations. About 50 to 60 people come to our weekly meetings, most of them are migrants and refugees. That’s a big number for Slovenia. We talk about the problems. Then we search for solutions together.

And what effect does it have?

So far, the government and the ministry of the interior are ignoring us. They say everything they do is legal. But at the same time, we have already made some changes. I feel like authorities don’t push that much to deport someone, that they try to calm things down. They notify people that they will get deported, then we block the deportation – and then nothing happens. Some people manage to stay because the date for their deportation passes. But still, we won’t stop until we get political answers, until it’s possible for people to stay here if they want to. What’s the situation for refugees in Slovenia? Slovenia basically has open borders – not officially, but unofficially it’s easy to come and even easier to go. But even if Slovenian authorities say that migrants would treat us like a transit country, there are many people who want to stay. They’ve come here, they like it, they’ve made some friends and they want to stay. But it’s hard for them. The Slovenian migration system isn’t developing. Asylum homes have the same capacity as they’ve had in 2015.

How would it affect someone’s life if they got deported to Croatia?

Croatia is not a friendly place for refugees. They experience violence by the police that can pick them up any day and send them to Bosnia. Most refugees sent to Croatia on the basis of a Dublin decision have their asylum application processed as a second asylum procedure. That means that the authorities don’t check their whole story and why they’ve applied for asylum in the first place, but only what has happened since then. Of course, nothing new has happened. So many people end up in a bureaucratic procedure that denies them immediately.

How does this struggle to stay impact a person’s health?

While refugees live in the asylum home and wait for their asylum request to be handled, they only receive emergency medical care. When they get their status, they have the same access to health care as Slovenians. But if they have to wait for a long time, if they get repeating refusals and have to fight for years, their health deteriorates. For example, there’s Ahmad Shamieh who finally won after two years of fighting against his Dublin decision. But he was under so much stress that his health got ruined. He came here healthy. Then the system made him sick.

The case of Ahmad Shamieh

Ahmad Shamieh fled from Syria to Slovenia in 2016 and has become “the most famous refugee” there, as Jelka Zorn, associate professor at the university of Ljubljana, describes in a paper about his case. It took him and the “Ambasada Rog” activists more than two years of political and legal struggle until his request for asylum was approved and five years until his wife and four children could come to Slovenia, too. In her paper, Zorn describes this struggle and the effect it had politically as well as on Shamieh and the activists supporting him.

Do Slovenian citizens support refugees who want to stay?

Numerous people involved in this fight are migrants. That’s a good thing. But I’m a bit disappointed with the Slovenians. When we’ve had a similar situation around 2015 there was much more public support. It was the time of the Balkan corridor and the “Refugees welcome”-movement. You could get lots of people from all kinds of spheres involved. Now it has become a marginalized topic. But still, we are working on connections, for example to workers unions and activist organizations.

What are Ambasada Rog’s next plans?

There will be new issues. As I’ve said, we have just successfully fought for refugees to get a work permit after three months. So now our group has about 50 members who got employed at the same time, some at the same companies. I don’t think these companies won’t exploit them. So the workers will have to organize. But first we have to win the fight against Dublin deportations. It’s difficult and so far it hasn’t been successful anywhere else in Europe. But we will do it somehow.

Schlagworte:

Lass uns gemeinsam den gesundheitlichen Auswir­kungen von Ungleichheit auf den Grund gehen.

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