Interview. “Für mich war es immer schwierig, wenn eine Person demenzkrank war.” Małgorzata Kocia, arbeitet seit 2007 als Live-in

“Für mich war es immer schwierig, wenn eine Person demenzkrank war.”

Interview mit Małgorzata Kocia

Małgorzata Kocia ist eine der Frauen, die meine Oma betreute, als sie nicht mehr alleine klar kam. Seit 2007 betreut sie Menschen in deren Haushalt, zunächst in Deutschland, heute in Polen. Im Interview erzählt sie, warum sie nie wieder mit demenzkranken Personen arbeiten möchte, warum sie gerne selbstständig arbeitet und auf welche Probleme sie bei der Zusammenarbeit mit Pflegediensten stößt.

Sören: Im Jahr 2007 hast du dich das erste Mal entschieden, nach Deutschland zu kommen, um als “Live-in” zu arbeiten. Wie kam es dazu?

Małgorzata Kocia: Ich bin in einer Kleinstadt in Polen aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich als Lehrerin in einer Grundschule gearbeitet. In den Jahren nach dem Kommunismus war das schwierig. In meiner Stadt gab es zu viele Lehrkräfte. Darum habe ich mir andere Jobs gesucht. Eines Tages hat mich eine Freundin angerufen, die in Deutschland gearbeitet hat. Sie hat gefragt, ob ich mir vorstellen kann, für zwei Monate nach Deutschland zu kommen.

Wie hast du darauf reagiert?

Kocia: Ich dachte, ich probiere das mal aus. Also habe ich einen Monat normalen und einen Monat unbezahlten Urlaub genommen und bin in ein kleines Dorf in Nordrhein-Westfalen gefahren.

Was hast du erwartet, als du das erste Mal nach Deutschland gekommen bist?

Kocia: Ich hatte ein bisschen Angst. Alles war neu für mich. Aber ich wollte nette Leute treffen. Das hat geklappt. Die Pflegeperson und die Familie waren so nett, dass ich in Polen gekündigt habe, um weiter in Deutschland zu arbeiten.

Warst du damals bereits über eine Agentur angestellt?

Kocia: Nein. Mein erster Job war Schwarzarbeit. Erst danach habe ich über die bekannte Agentur “Promedica” gearbeitet. Dort habe ich rund sechs Jahre gearbeitet. Danach war ich selbstständig und hatte einen direkten Vertrag mit einer Familie in Deutschland. Als die Person starb, habe ich wieder mit einer Agentur zusammengearbeitet.

Wie kam es zu den Wechseln zwischen Agenturen und Selbstständigkeit?

Kocia: Ich wollte nicht schwarz arbeiten. Ich wollte versichert sein und für meine Rente vorsorgen. Deshalb bin ich zu einer Agentur gegangen. Dann gab es bei einer Familie einen Vorfall mit einer anderen Pflegerin, nach dem die Familie nicht mehr mit der Agentur zusammenarbeiten wollte. Also habe ich angeboten, dass ich als Selbstständige weiterarbeiten könnte. So war ich rund drei Jahre bei der Frau, bis sie gestorben ist. Danach habe ich wieder in einer Agentur gearbeitet.

Welche Vor- und Nachteile hatte für dich das selbstständige Arbeiten?

Kocia: Als Selbstständige habe ich mehr Geld verdient, weil der Vertrag direkt zwischen mir und der Familie war. Ich musste zwar selber meine Versicherungen bezahlen, aber ich hatte einen guten Vertrag, den ich mitbestimmen konnte. In den letzten Jahren hat sich die Situation bei den Agenturen verbessert. Man kann jetzt mehr Geld verdienen als früher. Aber es war nie ein großer Unterschied, ob ich jetzt bei Promedica oder einer anderen Agentur gearbeitet habe.

Als vor wenigen Jahren meine Oma begann dement zu werden, entschied sich mein Vater, ihren Wunsch eines Lebensabends in den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Über eine Agentur engagierte er eine im Haushalt lebende Betreuung. Małgorzata Kocia war eine von vier Betreuerinnen. Ein Sturz führte den letzten Weg meiner Oma ins Krankenhaus, von wo aus sie nicht mehr nach Hause fand.

Als du bei meiner Oma warst, war das Zusammenleben manchmal schwierig. Wie hast du die Situation damals erlebt?

Kocia: Für mich war es immer schwierig, wenn eine Person demenzkrank war. Das kann ich nicht mehr machen, sonst werde ich selbst krank. Deine Oma wollte ihre Krankheit nicht akzeptieren. Sie wollte zeigen, dass sie klug ist, alles alleine machen kann und keine Hilfe braucht. Das war schwierig, weil ich ihr helfen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht unterstützt werden will, dass sie mich nicht mag.

Wie war es für dich, Abstand dazu zu finden, wenn man rund um die Uhr im selben Haushalt wohnt?

Kocia: Es heißt ja oft “24-Stunden-Pflege”. Aber in der Nacht schlafe ich. Manchmal, wenn nachts etwas passiert, ist klar, dass ich reagieren muss. Aber das ist für mich keine “24-Stunden-Pflege”. Letztlich ist jedes Haus anders.

Was meinst du damit, jedes Haus ist anders?

Kocia: Jede Familie ist unterschiedlich. Wenn ich ein Paar betreue, ist das anders, als wenn ich eine einzelne Person betreue. Ich habe mehr Arbeit. Jede Person hat andere Krankheiten. Eine Person kann sich selber waschen, die andere muss ich duschen oder ihre Haare waschen.

Wie fair findest du das System der Live-in-Betreuung?

Kocia: Ich bin zufrieden, denn ich habe relativ viel Geld verdient. Klar, würde ich mich darüber freuen, wenn ich jeden Monat 5.000 Euro verdienen würde. Aber ich arbeite bei älteren Leuten, die häufig von ihrer Rente leben. Die könnten sich das nicht leisten.

Wie war das für dich und deine Familie, wenn du zwei, drei Monate weg warst?

Kocia: Ich habe selten so lange gearbeitet. Meistens wurde ich nach sechs Wochen abgewechselt und habe eine Pause gemacht. Das hat mir gepasst. Ich konnte noch ganz gut funktionieren. Wenn ich doch mal drei Monate am Stück gearbeitet habe, war es nicht mehr okay. Ich war zu nervös. Die Person hat mich in diesen drei Monaten verändert. Jeden Tag das Gleiche, ohne Familie, ohne Freunde, ohne Bekannte. Es war nicht mein eigenes Zuhause, immer war ich fremd. Ich musste von anderen Personen leben. Ich wollte dann nach Hause.

Was stört dich an dem System mit den Agenturen?

Kocia: Den Agenturen ist egal, wer kommt. Sie schicken uns, kassieren das Geld und dann haben sie ihren Job erledigt. Ich habe eine Frau betreut und bin nach sechs Wochen nach Hause gefahren. Dann kam eine neue Person – bei jedem Wechsel. Und jede macht alles etwas anders. Das hat mich genervt. Als ich selbstständig war, haben wir uns immer zu zweit abgewechselt. Das hat gut funktioniert – für uns und für die betreute Person.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Dienstleistenden, wie Pflegediensten oder Haushaltshilfen aus?

Kocia: Die Pflegedienste machen manchmal den ganzen Tag kaputt. An einem Tag kommen sie um acht Uhr, am nächsten um zehn Uhr. Manchmal wollte ich bestimmte Aufgaben dann schon fertig haben und habe die Arbeit vom Pflegedienst selbst gemacht.

Das heißt, die Kommunikation mit anderen Stellen funktioniert oft nicht?

Kocia: Ja. Auch bei den Pflegediensten wechseln die Personen häufig. Das heißt, immer wieder neue Leute, die immer etwas unterschiedlich arbeiten.

Mittlerweile arbeitest du in Polen. Läuft die Vor-Ort-Betreuung dort ähnlich?

Kocia: Ich arbeite bereits seit über einem Jahr als Betreuerin in Polen, weil ich Gesundheitsprobleme hatte. Hier zu arbeiten ist besser für mich. Zwar bekomme ich weniger Geld, aber dafür kann ich alle zwei Wochen nach Hause fahren. Das gibt mir Ruhe. Hier gibt es auch Agenturen, aber ich arbeite gerade selbstständig. So habe ich mehr Geld, denn die Agenturen kassieren ja mit. In Deutschland waren ja sogar zwei Agenturen beteiligt, eine polnische Agentur und eine deutsche. Wie lange ich noch arbeite, weiß ich nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

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