Wahlverlierer: Klima! Und eure Gesundheitsvision
Das Klima ist einer der Verlierer der Bundestagswahl 2025. Es gibt Ideen und Forderungen, um jetzt zu handeln – und auch, um die Gesundheit zu verbessern.

Takeaways
Darum geht's in dieser Ausagbe
- Community: Das erwartet ihr von der neuen Bundesregierung
- Thema:Das Klima spielte im Wahlkampf eine Nebenrolle. Warum es jetzt wichtig werden und das Gesundheitssystem mitwirken muss
- Was du außerdem wissen solltest: Diesmal mit Papaya-Workshop, acht Beispielen der Brutalität von Abschiebungen und einer Antwort auf die Frage, was das Leben schwer macht nach einer überlebten Krebserkrankung.
Hallo!
Zu Beginn des Jahres haben wir die Wahlprogramme zur Bundestagswahl verglichen und abgeschätzt, was sie für die Gesundheit der Menschen in Deutschland bedeuten. Jetzt sind die Stimmen gezählt, in den kommenden Wochen findet sich eine neue Regierung. Und die sollte liefern, findet ihr. Kurz nach der Wahl haben wir gefragt, was eine neue Bundesregierung für die Gesundheit tun sollte – und als Antwort eine ganze Reihe deutlicher Forderungen bekommen.
Welche, das zeigen wir euch in dieser Ausgabe. Außerdem haben wir uns mit einem der Verlierer dieses Wahlkampfs befasst: mit dem Klima. “Jetzt beginnt der Angriff auf die Klimaziele”, analysiert Rico Grimm bei den Krautreportern. Zwar haben Union und SPD sich am Dienstag auf eine Aufweichung der Schuldenbremse geeinigt, doch noch ist nicht klar, welche Rolle Klimainvestitionen dabei spielen könnten. Wie Klimaschutz wieder auf die Agenda gelangen kann und wie das Gesundheitswesen den Prozess mitgestalten kann (und muss), auch darum geht es heute.
Wir wünschen dir viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
Maren und Sören
P.S. Wir begrüßen unsere neuen Mitglieder Verena, Kerstin, Stefan und Christina! Wenn du auch Upstream unterstützen möchtest, kannst du das hier tun.
Community
Die Upstream-Community-Vision: Faire Gesundheit für alle
Wir haben euch nach eurer Vision für ein faires Gesundheitssystem gefragt. Auch wenn manche Wünsche und Forderungen, der “politischen Kräftelage” nach, aktuell unwahrscheinlich scheinen, kann eine Vision helfen, sich daran zu erinnern, wofür man kämpft. Das ist euch wichtig:
Gesunde Entwicklung von Anfang an
Wie es Kindern und Jugendlichen geht, war in den Debatten des Wahlkampfes “quasi unsichtbar”, sagt Marion. Darum müssen sie in den Fokus eines fairen Gesundheitssystems. Linda fordert mehr “Aufklärungs- und Präventionsarbeit zur psychischen Gesundheit” in Schule, Ausbildung und Studium. Anie wünscht sich, dass Präventionsprogramme gefördert und ausgebaut werden, insbesondere für Frauen- und Kindergesundheit. Um nicht nur Symptome zu behandeln, sondern Ursachen anzugehen fordert ein*e anonyme*r Leser*in eine echte “Armutsbekämpfungsstrategie“ und Feelise mahnt “soziale Sicherheit und Gerechtigkeit“ an.
Eine solidarische Bürgerversicherung
André, Joerg, Lena und Kerstin fordern eine Bürgerversicherung, in die auch Selbstständige und Beamte einzahlen. Dafür muss auch die “Beitragsbemessungs- & Versicherungspflichtgrenze” abgeschafft werden, sagt Kerstin. Lena bringt es auf den Punkt: “Keine Zweiklassengesellschaft mehr“. Auch “Menschen ohne Versicherungsschutz” müssen “Basisgesundheitsleistungen im regulären System“ bekommen, betont Kerstin.
Gesundheit als Gemeingut
Ruth fordert: “Gesundheit darf nicht als handelbares Produkt aufgefasst werden.” Darum seien Zusatzangebote für Kassenpatient*innen in der jetzigen Form schlecht. Richard schlägt vor, Private-Equity-Gesellschaften in der ambulanten Versorgung zu verbieten. Hartmut fordert, die Kommerzialisierung und Technisierung des Gesundheitswesen zu stoppen. Richard, Kerstin, Andreas und Maxi wünschen sich multiprofessionelle Stadtteilgesundheitszentren als Primärversorgungszentren, die beispielsweise nach dem Vorbild von Polikliniken Hausärzte, soziale Berufe und Pflege eng vernetzen. Christina sieht Versorgungszentren als den Ort, an dem Versorgung durch spezialisierte Fachärzt*innen angeboten werden sollte.
Bessere psychische Gesundheitsversorgung
Die Upstream-Community bewegt der Mangel an Psychotherapieplätzen. Katha fordert: “Es muss einfacher werden, an einen Therapieplatz zu kommen.“ Dirk wünscht sich eine Lösung bei der Finanzierung der Psychotherapeut*innenausbildung: “Sonst stirbt der Beruf mittelfristig aus.“
Faire Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen
Die Upstream-Community will faire Arbeitsbedingungen und eine wertschätzende Kultur im Gesundheitswesen. Anie rückt die “Selbstfürsorge” und “seelische und körperliche Gesundheit“ von Beschäftigten im Gesundheitswesen in den Fokus. Joerg fordert eine “leistungsgerechte Bezahlung”. Maxi schlägt vor, Tätigkeiten “nach Outcome” zu bezahlen und fordert “weniger Bürokratie” und ein*e anonyme*r Leser*in fordert “mehr Digitalisierung” bei Krankenhäusern, Gesundheitsämtern und Pflegeeinrichtungen. Robert findet, die Präklinik müsse reformiert werden, zum Beispiel indem die Handlungskompetenz durch eine “(Teil-)Akademisierung” gestärkt wird.
Krisenfestes Gesundheitswesen
Als Reaktion auf die Klimakrise wünscht sich ein*e anonyme*r Leser*in verstärkt “Hitzeaktionsplanung in Krankenhäusern“. André wünscht sich, dass Gesundheitseinrichtungen “gegenüber militärischen und nichtmilitärischen Krisenereignissen“ gestärkt werden.
Diese Gesundheitspolitik erwartet uns
Aktuell sondieren Union und SPD, wie ein zukünftiges Regierungsprogramm aussehen könnte. In unserem Wahlprogrammvergleich lassen sich die Positionen der beiden Fraktionen nebeneinander legen. Eine Bürgerversicherung ist in der nächsten Legislaturperiode nicht zu erwarten. Während sich Gemeinsamkeiten bei der Stärkung von Apotheken und der Förderung geschlechtsspezifischer Medizin finden, zeigen sich Unterschiede bei der Finanzierung der Pflege und der Bewertung der Krankenhausreform . Auch bei der Klimaanpassung zeigen sich gemeinsame Ansätze. Offen bleibt, inwiefern die Klimapolitik von SPD und Union priorisiert werden wird.
Thema
Das laute Schweigen übers Klima
Schon vor der Bundestagswahl war klar: Eine Klimawahl ist das nicht. In einer repräsentativen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zählte für jede*n Vierte*n das Klima zu den Top-3-Themen der Wahl – weniger als bei der Bundestagswahl 2021. Im Wahlkampf ging es kaum um Klimaschutz.

Das hat auch Jana Zierler beobachtet. Die Ärztin aus Stuttgart engagiert sich seit gut vier Jahren bei Health for Future, einem Zusammenschluss von Menschen, die sich im Gesundheitswesen und mit dem Fokus auf Gesundheit für Klimaschutz einsetzen. Vor der Wahl haben Zierler und ihre Ortsgruppe Menschen auf das Thema Klima aufmerksam gemacht. Doch das Thema Migration habe alles überschattet. “Aber unserer Meinung nach haben wir kein Migrationsproblem, sondern einen Fachkräftemangel und ein Gesundheitsproblem.”
Gesundheit und Klimaschutz: “There’s no glory in prevention”
Jetzt würden die Koalitionsverhandlungen eine Chance bieten, ein nachhaltiges Gesundheitswesen in die Debatte einzubringen, schreiben Health for Future in ihrem Newsletter. Für Jana Zierler bedeutet das, das Gesundheitssystem genau zu überprüfen: “So, wie aktuell Geld verdient wird, ist es absolut nicht präventionsfördernd.” Es sei paradox, sagt sie: “Alles, was der Gesellschaft im Prinzip Geld sparen würde, bringt den einzelnen Einrichtungen im Gesundheitssystem kein Geld ein” – etwa Physiotherapie statt einer teuren Knie-OP.
Ansätze für Verhältnisprävention wie weniger Luftverschmutzung, besser ausgebauter ÖPNV oder Hitzeschutz könnten dazu beitragen, Gesundheit und Klima zu schützen, sagt Jana Zierler. Eine Lobby für solche Gesundheitsthemen gebe es kaum, ebensowenig wie es sich im Wähler*innenverhalten widerspiegle, dass Gesundheit allen Menschen wichtig ist. “Solange man gesund ist, spielt es irgendwie nicht so die Rolle. ‘There’s no glory in prevention’ trifft dann eben doch zu.”
Im Einsatz für Gesundheit und Klima
Dabei können Ärzt*innen und Pflegekräfte durchaus etwas bewegen, meint Jana Zierler, denn die Gesellschaft bringe ihnen viel Vertrauen und Respekt entgegen. “Ich sehe uns alle in der Pflicht, für unsere eigene Gesundheit laut zu werden und aktiv zu werden”, sagt sie, “Und es ist auch fürs eigene Wohlbefinden wichtig.” Wenn man hilflos und fassungslos vor den Geschehnissen dieser Welt stehe, sei es durchaus Selbstfürsorge, aktiv zu werden.
Letztlich seien Politiker*innen verantwortlich, zu entscheiden, was wichtig ist und was gefördert wird. “Wir können keine ernsthafte Diskussion über Wirtschaftswachstum, Energiewende und Migrationspolitik führen, ohne die Klimakrise und ihre gesundheitlichen Folgen zu berücksichtigen.” Trotzdem würden die Themen oft gegeneinander ausgespielt – “dabei können wir mit konsequentem Klimaschutz viele Probleme Hand in Hand lösen.”
Medientipps
Was du sonst noch wissen solltest
Papaya-Workshop: So lernen Studierende Abtreibungen, obwohl die verboten sind
18.02.2025, Astrid Probst/Krautreporter, 15 Minuten, (€)
“Mit Abtreibungen macht man keine Karriere”, sagt eine Teilnehmerin eines “Papaya-Workshops”. In solchen selbstorganisierten Workshops lernen Studierende, wie sie eine Absaugung durchführen. Astrid Probst recherchiert, warum Medizinstudierende auch heute noch oftmals kaum etwas über Abtreibungen lernen. Und warum das nicht nur für Personen ein Problem ist, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden.
Gewalthilfegesetz: Ein besserer Schutz für Frauen. Aber erst ab 2032
13.02.2025, Die Zeit, 3 Minuten, (€)
Kurz vor Ende der Legislaturperiode hat der Bundestag noch das Gewalthilfegesetz beschlossen. Es soll die Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt verbessern, indem es den Bund finanziell mit in die Pflicht nimmt und erstmals einen Rechtsanspruch für Beratung und Schutz schafft. Nur: Der Rechtsanspruch gilt voraussichtlich erst in sieben Jahren. Befürchtungen der Union, Männer könnten das Selbstbestimmungsgesetz nutzen, um sich Zugang zu Frauenschutzhäusern zu erschleichen, verhindert den Schutz von queeren Betroffenen und Männern.
Texas Banned Abortion. Then Sepsis Rates Soared.
20.02.2025, Pro Publica, 18 Minuten, englisch
Im Jahr 2021 hat Texas Abtreibungen verboten. Zwar sind medizinische Notfälle als Ausnahmen vorgesehen, doch sind sie so unklar formuliert, dass Ärzt*innen Angst vor harten Strafen haben. Die gemeinnützige Redaktion ProPublica hat nun die Abrechnungsdaten von Schwangeren analysiert: Seit dem Abtreibungsverbot stieg im Bundesstaat die Sepsisrate bei Frauen nach einer Fehlgeburt im zweiten Schwangerschaftsdrittel um mehr als 50 Prozent. Während landesweit die Müttersterblichkeitsrate zwischen 2019 und 2023 um 7,5 % sank, stieg sie in Texas um ein Drittel.
8 Beispiele für den ausufernden Abschiebewahn
20.02.2025, Sophie Scheingraber/Volksverpetzer, 15 Minuten
Eine Frau hat einen Hirntumor und wird wegen Reiseunfähigkeit nicht abgeschoben. Trotzdem werden der Mann und die zwei Kinder abgeschoben. Auch das ist Teil einer Politik, die sich nach höheren Abschiebezahlen sehnt. Eine Analyse der Wahlprogramme zeigt: Durch alle Parteien hinweg rückt die Politik nach rechts. Sophie Scheingraber hat für den Blog Volksverpetzer die Geschichten von 8 Familien recherchiert und holt einen Hauch von Menschlichkeit zurück in die Debatte.
(Noch) kein Recht auf Vergessen
21.02.2025, Jana Lapper/Apotheken Umschau, 12 Minuten
An Krebs zu erkranken bedeutet nicht, auch daran zu sterben. Trotzdem werden Menschen, die die Krankheit in jungen Jahren überlebt haben, so behandelt, wenn sie ins Leben starten wollen: Sie erfahren Diskriminierung im Beruf, wenn sie Versicherungen oder Kredite abschließen oder ein Kind adoptieren wollen. Anders als in einigen anderen Ländern gibt es in Deutschland keine Regelungen, die Krebsüberlebende davor schützen.
Pflegenotstand: “Wir brauchen einen kompletten Umbruch!”
08.02.2025, Das!, 44 Minuten
“Ich habe beim Wahl-O-Mat vier Fragen zu Migration beantwortet und eine, ob ich für eine Bürgerversicherung bin. Das ist ein Armutszeugnis”, meint Franziska Böhler. Die Krankenpflegerin setzt sich für Veränderungen in der Pflege ein – die aus ihrer Sicht längst nicht nur aus besserer Bezahlung bestehen müssen. Rund zwei Wochen vor der Bundestagswahl ging es in dieser Sendung darum, was sich tun muss, um sowohl den Pflegekräften als auch Patient*innen in Krankenhäusern zu helfen.
Transparenz
Quellen
Neligan, A., Diermeier, M. (2025): Klimaschutz: Zwischen Zeigefingermentalität und Zumutungsaversion. IW-Kurzbericht 15/2025. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2025/IW-Kurzbericht_2025-Klimaschutz-Parteien.pdf (zuletzt abgerufen am 05.03.2025)
Gesundheit & Resilienz | ExpertInnenrat der Bundesregierung (2025): 12. Stellungnahme. Das Gesundheitswesen: Mitverursacher des Klimawandels – und Teil der Lösung. Erschienen am 19.02.2025. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/2335770/edb0e80a6e073200e9184a3528e68c98/2025-02-19-stellungnahme-expertinnenrat-data.pdf?download=1 (zuletzt abgerufen am 05.03.2025)
Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum haben wir in dieser Ausgabe alle Quellen direkt im Text verlinkt. Auf der Website findest du unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.