Das Klima sitzt im Wartezimmer
Klimaschutz und Gesundheit gehen Hand in Hand – eigentlich. Bis das Gesundheitssystem in Deutschland klimaneutral ist, kann es noch dauern.

Wäre das weltweite Gesundheitswesen ein Staat, würde es den fünften Platz der Treibhausgas-Emissionen belegen. Das haben Wissenschaftler*innen 2019 berechnet – in dem Jahr, als Fridays for Future weltweit für mehr Klimaschutz protestierten und Klima das bestimmende Thema der Europawahl war. Zwei Jahre später beschloss der Deutsche Ärztetag ein ambitioniertes Ziel: Bis 2030 soll das Gesundheitswesen in Deutschland klimaneutral sein.
Klimaneutrales Gesundheitssystem bis 2030: “aktuell unwahrscheinlich”
2025 ist Halbzeit dieses Plans. Dass er verwirklicht wird, scheint unwahrscheinlich. Zu diesem Schluss kommt der Expert*innenrat “Gesundheit und Resilienz” in einer Mitte Februar veröffentlichten Stellungnahme. “Deutschland ist aktuell weit entfernt von nationalen und internationalen Deklarationen und Verpflichtungen in diesem Bereich”, heißt es darin – trotz verschiedener Initiativen der vergangenen Jahre.
In Deutschland ist das Gesundheitssystem demnach für fünf Prozent der jährlichen Emissionen verantwortlich: 35 Millionen Tonnen CO2, Methan, Stickoxide und fluorierte Gase. Hinzu kommen jährlich 1.500 kg Abfall pro Krankenhausbett, was etwa so viel ist, wie drei Menschen pro Jahr wegwerfen. Der Großteil der Emissionen entstehe in Krankenhäusern und teilstationären Einrichtungen, aber auch in Arztpraxen und Apotheken – und zu etwa 70 bis 80 Prozent dadurch, dass Medizinprodukte und Medikamente im Ausland eingekauft werden und dadurch zum Teil lange Transportwege zurücklegen.
Neues Ziel: Klimaneutralität bis spätestens 2040
Der Expert*innenrat empfiehlt, dass Deutschland eine Strategie entwickelt, mit der das Gesundheitssystem spätestens 2040 klimaneutral ist. Ansatzpunkte gibt es viele: Transportwege verkürzen, Krankenhausgebäude energiesparend und hitzeresistent bauen, Energie und Wasser sparen, Abfall vermeiden, bei ambulanter Pflege, Krankentransport und Rettungsdienst Elektrofahrzeuge und Telemedizin einsetzen oder Narkosegase klimabewusst verwenden – all das bei bestmöglicher Versorgung der Patient*innen. Eine weitere Maßnahme sei zudem besonders wirksam: Prävention, die verhindert, dass Menschen Gesundheitsleistungen überhaupt benötigen.
Ähnlich sieht es die Ärztin Jana Zierler. Sie engagiert sich seit etwa vier Jahren bei Health for Future gemeinsam mit anderen Menschen aus dem Gesundheitswesen für das Klima. “Wir müssen auf allen Ebenen präventiv vorgehen, sowohl in der Gesundheit als auch, was den Klimaschutz angeht”, sagt sie. Das könne etwa bedeuten, Konzepte für Hitzeschutz zu erarbeiten, die Luftqualität in Städten zu verbessern oder dafür zu sorgen, dass mehr Menschen mit Rad, Bus oder Bahn statt mit dem Auto fahren können.
Klimaneutrales Gesundheitswesen – “eine Monsteraufgabe”
Dass das Gesundheitssystem bis 2040 klimaneutral sein kann, daran zweifelt Jana Zierler. “Natürlich wäre uns immer lieber morgen als übermorgen”, sagt sie. Bisher sei die Kernforderung von Health for Future allerdings, dass überhaupt konkret gehandelt werde – und: “Ich glaube, es ist eine Monsteraufgabe.” Ein Stück weit könne das Gesundheitssystem sie selbst bewältigen, mit Ärzt*innen, Therapeut*innen und Pflegekräften, die sich dafür einsetzen, oder mit Klimamanager*innen, die einige Krankenhäuser bereits beschäftigen.
Letztlich brauche es aber vor allem politischen Willen und Geld: “Die großen Punkte sind Bau, Energie und Transport. Das sind nicht die Dinge, die wir Ärzt*innen in der Hand haben. Und es sind auch nicht die Dinge, die Pflegekräfte, Physio-, Ergo-, Logotherapeut*innen entscheiden können. Da braucht man das Strukturelle: Da müssen die Krankenhausträger mitmachen, da müssen die Krankenkassen mitmachen.”
Das Wissen für Veränderung ist schon da
Für bundespolitische Änderungen engagiere sich vor allem die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), sagt Jana Zierler. Health For Future organisiere sich vor allem lokal, in rund 70 Ortsgruppen und sehr vielfältig: Es gebe Gruppen, die das Thema Klimaschutz vor allem an die Universitäten tragen, andere, die sich in den Städten für Grünflächen oder Hitzeschutz einsetzen.
Wichtig sei, sich überhaupt zu organisieren: “Man muss sich zusammentun, damit man Gewicht hat.” Dafür gebe es etwa Nachhaltigkeits-AGs in den Abteilungen von Krankenhäusern oder Verbünde von niedergelassenen Ärzt*innen und Praxen. “Man muss das Rad nicht neu erfinden”, sagt Jana Zierler, “alles, was man braucht an Informationen, gibt es schon. Man muss es nur finden und dann umsetzen.”