Partydrogen: Können uns Drogen gut tun?
Ob Bier, Ecstasy oder LSD – für viele Menschen gehören Drogen zu Partys dazu. Selbst der Notfallmediziner Gernot Rücker sagt, Kultur braucht Drogen. In Thüringen wagt das Projekt ALIVE darum einen neuen Ansatz: Drug-Checking. Wie klappt’s?
Takeaways
Das erwartet dich in dieser Ausgabe
- Interview: Zehntausende Menschen feiern jeden Sommer tagelang auf dem Fusion Festival bei Neustrelitz. Gernot Rücker ist seit fast 20 Jahren als Chef der Notfallmedizin vor Ort dabei.
- Schlaglichter: Studien zeigen, wie weit verbreitet der Konsum von Partydrogen ist – und wie groß der Bedarf für Prävention.
- Praxistauglich: Beim Drug-Checking werden Drogen darauf geprüft, was und wie viel da überhaupt drin ist. Wie das funktioniert und was der Test bringt, erklären Roxana Preuß und Sebastian Franke, die an einem Pilotprojekt in Thüringen beteiligt sind.
- Aktuelles: Diesmal mit Aalen, denen die Party nicht gut bekommt, einer Lobby, die sich gegen gesunde Ernährung stellt und einem Tipp, welchen Newsletter du neben Upstream abonnieren solltest.
Vorab: In diesem Newsletter geht es explizit um den Konsum von Drogen und dessen Folgen. Wenn dir das Thema nicht gut tut, lies diese Ausgabe lieber nicht oder nicht alleine.
“Wir haben kein Problem, von dem wir erzählen wollen. Wir haben eigentlich gar keins.”
Es ist ein kalter Herbstabend. Im Club stapeln sich nasse Mäntel auf den Sofas an der Bar. Zwischen den Jackenhaufen steht ein Tisch. Darauf: Kondome, Infobroschüren, kleine Plastikröhrchen, Spritzen, Traubenzucker. Immer wieder bringt jemand von der Bar frische Apfelscheiben und Mandarinenstücke.
Die Spritzen sind gefragt. Nadeln haben sie nicht, aber ein millilitergenaues Maß. Das ist wichtig, denn wer eine Spritze mitnimmt, will vermutlich “G” konsumieren, kurz für GHB/GBL, auch als Liquid Ecstasy bekannt. Die Droge kann entspannen und anregen. Eine zu hohe Dosis oder falsche Mischung mit anderen Substanzen kann tödlich sein.
Später in der Nacht ist es auf den Sofas warm. Wer eine Pause vom Dancefloor braucht, kann sich hier ausruhen, mit Freund*innen, einen Schluck Wasser trinken und schauen, ob noch Äpfel da sind. Die Stimmung ist gut.
Das ist jetzt einige Jahre her. Partys gab es seitdem Tausende in der Stadt. Das Besondere an Nächten wie dieser: Wer Drogen nehmen will, wird unterstützt, damit so wenig wie möglich dabei schief geht und alle eine gute Zeit haben.
Wie kann dieser Ansatz funktionieren? Haben wirklich alle eine gute Zeit? Darum geht es in dieser Ausgabe.
Ich freue mich, dass du dabei bist!
Herzliche Grüße, Maren
P.S.: Diese Ausgabe ist die dritte in einer Reihe über Sucht. Was Sucht überhaupt ist, erfährst du hier. In der letzten Ausgabe hat Sören sich mit dem Thema Spielsucht beschäftigt – du kannst sie hier nachlesen. Wenn du uns noch nicht abonniert hast, kannst du das hier nachholen. Wir freuen uns, wenn du diesen Newsletter weiterempfiehlst!
Interview
“Die Party ist nicht das Problem”
Gernot Rücker ist Oberarzt, Narkosearzt, Sucht- und Notfallmediziner an der Rostocker Universitätsmedizin. Der Einsatz auf Partys und Festivals ist fester Teil seiner Arbeit und Forschung. Pro Veranstaltung begegnen ihm Dutzende verschiedene Substanzen. Warum der Konsum der Stoffe nicht das Problem ist, sondern vielmehr der Umgang unserer Gesellschaft mit den Drogen, erklärt Rücker im Interview.
Upstream: Herr Rücker, welche Rolle spielen Drogen auf Festivals?
Gernot Rücker: Drogen spielen immer eine Rolle, bei allen Festivals rund um den Globus. Das geht überhaupt nicht anders. Wir denken immer, das sei nur die Subkultur. Das ist nicht wahr. Eine Kultur braucht Drogen, es gibt keine Kultur ohne Drogen.
Warum kommen Menschen nicht ohne Drogen aus?
Rücker: Ohne Drogen könnte die Gesellschaft nicht existieren. Unser Körper produziert selbst Moleküle, die Morphium ähneln und uns betäuben oder antreiben, wenn unser Organismus das verlangt. Das kann bei Schmerzen sein oder in Stressreaktionen. Das sichert unser Überleben bis zu einem gewissen Grad. Der menschliche Körper hat außerdem Rezeptoren für Opioide, also Heroin, Morphium, und für Cannabinoide. Nebenbei: Für Alkohol haben wir keine.
Funktioniert es, Drogenkonsum auf die Freizeit zu beschränken?
Rücker: Bei jeder Party funktioniert das, in jeder Diskothek, auf der ganzen Welt. Wenn das völlig ausufern würde, hätten wir lauter Notfälle, Verletzte und Todesfälle. Die sehe ich nicht. Die Party ist nicht das Problem, sondern der Mensch, der auf der Party eine Droge entdeckt und dann feststellt, dass sie zuhause täglich zumindest zunächst auch funktioniert.
Wo ist die Grenze zu pathologischem Konsum?
Rücker: Die ist da, wo die Droge Teil des Alltags wird. Wenn Sie keine Grenze zwischen Genuss- und Rauschmittel mehr haben und die Droge in ihr Alltagsleben mitnehmen, endet das fast immer im Desaster. Dafür spielt es keine Rolle, wie die Droge heißt. Wichtig ist, was der Grund für den Konsum ist. Unsere Gesellschaft verteufelt Drogen, weil wir oft nur sehen, wenn es eskaliert ist. In Wirklichkeit war der Mensch schon am Ende seiner Kraft, bevor er mit Drogen angefangen hat. Und dann stigmatisieren wir ihn noch oder drohen ihm mit hohen Strafen. Da haben wir als Gesellschaft doch schon weit vorher voll versagt.
Wie sollten Drogen idealerweise reguliert sein?
Rücker: Es gibt Legalisierung auf der einen Seite und Eindämmung von Alkohol auf der anderen. Aus meiner Erfahrung als Notarzt kann ich sagen: Die paar Menschen, die mit Partydrogen über die Stränge schlagen, sind Peanuts im Vergleich zu Einsätzen wegen Alkohol. Da gibt es Stellschrauben: Man könnte die Preise erhöhen, verbieten, dass Tankstellen Alkohol verkaufen und Drogen konsequent erst ab einem Alter von 21 Jahren erlauben.
Und ab 21 dann einfach alles erlauben?
Rücker: Nein, es gibt Drogen, die sind einfach Mist. Crack geht gar nicht, oder Heroin. Methamphetamin ist an der Grenze. Die haben ein extrem hohes Abhängigkeitspotenzial. GHB, besser bekannt als K.O.-Tropfen, ist auch extrem gefährlich. Wenn ich aber das Risikopotenzial von Cannabis mit dem von Alkohol vergleiche, müsste Alkohol schon längst verboten und Cannabis legal sein.
Die Cannabislegalisierung ist auf dem Weg. Was denken Sie über andere Drogen, die oft auf Partys konsumiert werden?
Rücker: Da denke ich ähnlich drüber. Im Vergleich zu Alkohol sind das Partydrops. Mein Lieblingsbeispiel ist LSD: Davon können Sie nicht abhängig werden. Der Gewöhnungseffekt ist so hoch, dass nach ein paar Tagen keine Wirkung mehr erzielbar ist. Natürlich machen Sie Unfug, wenn Sie LSD nehmen, und jemand muss aufpassen. Aber Sie fallen nicht einfach tot um.
Eine andere beliebte Droge ist MDMA.
Rücker: Bei MDMA gibt es vergleichsweise extrem wenige Todesfälle. Wenn Sie wissen, wie viel Milligramm in einer Ecstasy-Pille sind und das vernünftig skalieren können, ist das kein Problem. Wir haben Geräte, damit wissen wir in einer Minute, was drin ist. Aber das zu testen, also Drug-Checking, ist bisher nicht erlaubt. Wer bringt schon seine Pille zum Testen, wenn er dafür bestraft werden könnte?
Schlaglichter
Wozu Partydrogen?
Um herauszufinden, welchen Effekt Drogen auf Menschen in der Partyszene haben, hat ein schwedisches Forscher*innenteam 2017 fast 1.400 Personen zwischen 18 und 34 Jahren befragt. Voraussetzung: Sie waren innerhalb eines Jahres auf mindestens sechs Techno-Partys oder Elektro-Festivals.
Die allermeisten übertrafen das. Im Schnitt hatte jede*r Befragte 15 Events besucht, meist, um Spaß zu haben und zu tanzen, aber auch, um Drogen zu nehmen. Dementsprechend hatten fast drei von vier in ihrem Leben schon einmal eine Partydroge konsumiert, etwa 60 Prozent innerhalb des vergangenen Jahres. Meist handelte es sich um Cannabis, gefolgt von Ecstasy, Kokain, Speed und anderen Amphetaminen.
Partybilanz: Höhen und Tiefen
Die Mehrheit der Befragten erlebte Partydrogen positiv: sie nahmen die Umwelt intensiver wahr, ihr Bewusstsein habe sich erweitert, sie haben verstärkt Liebe und Empathie verspürt, die Nähe zu anderen gesucht und seien weniger gehemmt gewesen.
Viele gaben allerdings an, in den Tagen nach dem Konsum negative Konsequenzen erlebt zu haben: ihre Stimmung habe geschwankt, sie seien aufgeregt und ängstlich gewesen, bis hin zu Panikattacken, hätten schlecht geschlafen und Gedächtnisverlust erlebt.
Von körperlichen Symptomen wie Erbrechen, Herzrasen und Überhitzen berichteten einige der Studienteilnehmer*innen. In selteneren Fällen seien schwere Folgen aufgetreten, wie Atemprobleme, Ohnmacht, Zusammenbrüche und Bewegungsunfähigkeit.
Wo ist das Problem?
Den Autor*innen der Studie zufolge zeigt diese, dass Drogenkonsum in der Club- und Festivalszene verbreitet und der Raum für Prävention groß ist. Die Studienteilnehmenden haben den Daten zufolge innerhalb eines Jahres bis zu 20-mal so häufig Drogen genommen wie die Gesamtbevölkerung. Die Mehrheit war demnach nicht abhänig, aber jede*r vierte der Konsument*innen verspürte ein starkes Verlangen nach Drogen. Befragte, die zweimal oder öfter im Monat konsumierten, hatten ein geringeres generelles Wohlbefinden als andere.
Diese Ergebnisse könne man nicht generalisieren, erklären die Forscher*innen. Aber sie deuteten darauf hin, dass Partydrogen einen negativen Effekt auf die psychische Gesundheit haben und ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen sein können.
Sechs von zehn Befragten sagten, beim Konsum habe eine Droge nicht so gewirkt wie erwartet. Mögliche Gründe sehen die Wissenschaftler*innen darin, dass sie zu wenig über die Droge wussten, verschiedene Substanzen mixten oder dass in den Drogen andere Stoffe enthalten waren als gedacht. Hier gebe es Bedarf und Möglichkeiten für Prävention.
Exkurs: Kokain wird zur Lifestyledroge
In europäischen Großstädten nehmen immer mehr Menschen Kokain, die in wohlhabenden und gesicherten Verhältnissen leben. Das zeigt eine Literaturübersicht von Thorsten Köhler und Hannah Grau von der Katholischen Hochschule NRW in Köln. Schon 2016 hatte der Europäische Drogenbericht gezeigt, dass Kokainkonsum deutlich zugenommen hat. Dieser Trend setzt sich laut dem Bericht für 2022 fort.
Köhler und Grau haben 26 weitere Studien ausgewertet. Diese zeigen zudem, dass:
- der Kokainkonsum vor allem am Wochenende und in der Partyszene zunimmt.
- immer mehr Menschen Kokain als Lifestyleprodukt in der Freizeit konsumieren.
- diese Konsument*innen Kokain als sichere Droge empfinden, die sie gezielt für “kontrollierten Hedonismus” einsetzen, um dem Alltag zu entkommen.
Vor allem Letzteres sei ein Problem, erklären Köhler und Grau: Kokain werde “offensichtlich als saubere und ungefährliche Substanz auf Seiten der Gelegenheitskonsumierenden wahrgenommen.” Da sie das nicht sei, seien Aufklärung, Prävention und Intervention nötig. Dafür brauche es mehr Daten über die Zielgruppe.
Leseempfehlung: “It’s What Happens Now When People Go for a Drink” – “Es ist, was heute passiert, wenn Menschen ausgehen” – ist der Titel einer weiteren Studie dazu, wie normalisiert (nicht pathologischer) Kokainkonsum unter Millennials ist.
Berliner Partygänger*innen sind offen für Hilfsangebote
Ein Forscher*innenteam der Berliner Charité hat im Herbst 2017 untersucht, wie Partygänger*innen in der Stadt ihren Drogenkonsum einschätzen – und was diesen sicherer machen könnte. Dafür wurden zunächst fast 900 Personen online und in Clubs befragt. Mit folgenden Ergebnissen:
- Wer feierte, war im Schnitt knapp unter 30 Jahre alt und hatte oft Abitur oder einen Hochschulabschluss.
- Mehr als 80 Prozent hatten im vergangenen Monat mindestens eine Droge konsumiert, meist Cannabis, Amphetamine (Speed) oder MDMA (Ecstasy). Fast jede*r Zweite gab an, den Konsum reduzieren zu wollen.
- Die Risiken von gelegentlichem Partydrogen-Konsum wurden oft unterschätzt.
- Etwa jede*r fünfte Befragte wünschte sich Unterstützung, besonders durch Drug-Checking und akzeptierende Beratung.
Fünf Befragte wurden zudem interviewt, ebenso wie 15 Expert*innen, unter anderem aus Suchtberatung, Clubszene, Polizei und Rettungsdienst. Diese schätzten den Drogenkonsum auf Berliner Partys ähnlich ein wie die Partygänger*innen. Als besondere Risiken nannten sie den Konsum von GHB/GBL und von mehreren Substanzen bei einer Gelegenheit (Mischkonsum). Alle Expert*innen sahen Bedarf dafür, Hilfsangebote auszubauen, vor allem:
- Drug-Checking
- Niedrigschwellige Beratung durch vertrauensvolle Personen
- Enttabuisierung von Konsum und Prävention
Die Charité-Forscher*innen haben festgestellt, dass Partygänger*innen und Expert*innen Drug-Checking befürworten, also die Möglichkeit, Substanzen auf ihre Zusammensetzung zu prüfen. In Deutschland ist das bislang kaum möglich. Kritiker*innen sagen, die Checks würden ein falsches Gefühl von Sicherheit geben. In Thüringen ist ein Pilotprojekt seit gut einem Jahr auf Partys unterwegs. Wie das läuft, erfährst du, wenn du weiterliest. ⬇️
Praxistauglich
Das Labor kommt auf die Party
In Deutschland könnte es bald möglich sein, Drogen auf ihre Zusammensetzung zu testen. Zumindest haben sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass es erste Modellprojekte für Drug-Checking geben soll.
Das Problem bisher: “Beim klassischen Drug-Checking gibt man die Substanzen im Labor ab”, erklärt Roxana Preuß, Mitgründerin des Jenaer Start-Ups “miraculix”. Würden die Mitarbeitenden im Labor die Drogen annehmen, würden sie sie besitzen und sich damit strafbar machen. Bundesweit sollen nun also Modellprojekte entstehen, die ausloten, wie der Drogen-Check trotzdem funktionieren könnte.
In Thüringen ist man einen Schritt weiter. “Die Landesregierung hat schon früher ein Pilotprojekt für Drug-Checking geplant”, sagt Sebastian Franke, Sozialarbeiter beim Projekt “SubCheck” der Thüringer Suchthilfe. Trotzdem sei es schwer und langwierig gewesen, Wege zu finden, um die Drogentests zu ermöglichen.
“Genau da kommen wir von ‘miraculix’ ins Spiel”, sagt Roxana Preuß. Ihr Kollege Felix Blei habe einen Schnelltest entwickelt, um den Wirkstoffgehalt von halluzinogenen Pilzen zu testen. Nach und nach seien Tests für weitere Stoffe dazu gekommen. Auf der Suche nach Kooperationen sei das Start-up dann auf die Drug-Checking-Anläufe der Suchthilfe gestoßen. Gemeinsam habe man einen Weg gefunden: Die Analyse kommt auf die Party.
So läuft das Drug-Checking ab
Seit gut einem Jahr sind “SubCheck” und “miraculix” mit dem Angebot “ALIVE” auf Partys in Thüringen unterwegs. “ALIVE” stehe für “Analysebasierte Intervention”, erklärt Sebastian Franke. Zum Test gehöre immer auch ein Beratungsgespräch: “Wir informieren die User*innen über die Ergebnisse, klären sie auf und versuchen, ihre Konsumkompetenz zu stärken.” Die Partygäste würden ihre Drogen nicht einfach nur testen lassen, sondern seien aktiv daran beteiligt. So funktioniert der Check demnach:
Erste Station: Die Einladung
Wenn du auf einer Party zum Infopunkt des Suchthilfeprojekts “Drogerie” kommst, zu dem auch “SubCheck” gehört, weisen dich die freiwilligen Mitarbeitenden darauf hin, dass Drug-Checking möglich ist. Nimmst du das Angebot an, geht es weiter ins Labor. Das kann, je nach Ort, ein Raum sein oder das Wohnmobil der “Drogerie”.
Zweite Station: Die Analyse
Drinnen erklärt dir jemand von “miraculix”, wie der Check abläuft. Zuerst werden Daten der Substanz aufgenommen: Was, wie viel, welche Farbe? Außerdem wird ein Foto gemacht. Du selbst bleibst anonym. Dann wird ein Teil der Substanz getestet. Bei einer Ecstasy-Pille sind das rund 50 Milligramm. Daraus werden zunächst Füll- und Streckstoffe rausgefiltert. Anschließend gibst du die Substanz in eine Nachweisreagenz, die nach zwölf Minuten das Ergebnis anzeigt. Während der Wartezeit testet ihr den Stoff auf weitere Bestandteile.
Dritte Station: Die Beratung
Ist die Analyse fertig, sprichst du mit einem Mitarbeiter der Suchthilfe über das Ergebnis und darüber, welche Risiken die Stoffe mit sich bringen und wie du sie verringern kannst. Wenn dir das Ergebnis nicht behagt, kannst du deine Droge direkt vor Ort komplett vernichten.
Anschließend kannst du weiterfeiern.
Warum Konsumkompetenz wichtig ist
Weder die Chemiker*innen noch die Beratenden kommen beim Test mit dem Gesetz in Konflikt, erklärt Sebastian Franke: “Wir haben zu keiner Zeit Betäubungsmittel in der Hand.” Es sei auch nicht möglich, die Drogen nach dem Check wieder zusammenzusetzen. Tatsächlich komme es in etwa ein bis zwei von zehn Fällen vor, dass die User*innen ihre Drogen gar nicht mehr nehmen wollen und sie direkt vernichten. Die meisten anderen würden sich überlegen, ob, wann und in welcher Menge sie ihren Stoff konsumieren wollen.
“Es ist nicht unser Ziel, dass nach unserem Angebot alle abstinent werden”, sagt Sebastian Franke, “Uns geht es darum, Notfällen vorzubeugen und zur Konsumkompetenz beizutragen.” Das bedeute, den User*innen Informationen zu geben, damit diese mündige Entscheidungen treffen können. Die Kritik, dass dabei ein falsches Sicherheitsgefühl entstehen könnte, weist er zurück: “Das würde ja bedeuten, dass es überhaupt sicheren Drogenkonsum gibt. Den gibt es aber nicht, weder bei illegalen noch bei legalen Drogen.”
>>> “Diejenigen, die Drug-Checking nutzen, würden Drogen auch ohne unser Angebot konsumieren”, sagt Sebastian Franke. Er und Roxana Preuß erklären im Interview, warum es wichtig ist, das Pilotprojekt weiter auszubauen und wie Drug-Checking auch den Notambulanzen hilft. Hier kannst du das Gespräch nachlesen.
>>> Was passiert, wenn Drug-Checking auf gefährliche Streckstoffe hindeutet, könnt ihr im Podcast vom Funk-Format “Die Frage” bei Spotify oder in der ARD-Audiothek() hören. Moderator Frank Seibert hat die Analyse und Beratung auf einer Party begleitet.
Aktuelles
Was du sonst noch wissen musst
- “Feiern bis der Aal stirbt”: Nach dem Glastonbury Festival in England ist die Konzentration von MDMA im Fluss auf dem Gelände 100-mal höher als vorher, die von Kokain 40-mal. Das bedroht die Aale, die im Fluss leben.
- Hmm, Limo, Schokolade, Gummibärchen! Viele von uns essen mehr Zucker, als unserem Körper gut tut. Politiker*innen wie Ernährungsminister Cem Özdemir könnten daran mit Gesetzen oder Steuern etwas ändern. Wie die Zuckerindustrie das verhindern will, erklärt Jan Schipmann im Video von “Die da oben”.
- Alkohol kann süchtig und krank machen – und tötet. Im aktuellen Ideenimport-Podcast berichten Tagesschau-Korrespondent*innen aus Russland und den USA, wie dort mit der Droge umgegangen wird.
- Bänke mit unnötigen Armlehnen, Fahrradständer, die niemand nutzt: So kann “defensive Architektur” aussehen, die obdachlose Menschen aus Städten vertreibt. Was das bedeutet, wenn man selbst auf der Straße lebt, erklärt Vanessa im Film von reporter.
- Wie kann LSD in der Psychotherapie eingesetzt werden? Das recherchiert der Journalist Martin Gommel, mit dem wir hier auch schon mal über seine Depression gesprochen haben. Was er dabei herausfindet, erfährst du in seinem Krautreporter-Newsletter “Die Wochendosis”.
Ausblick
Was uns Genuss und Vergnügen bringt, uns berauscht, uns umhaut und uns süchtig machen kann, entscheidet zu einem gewissen Grad auch die Gesellschaft: Auf welche Normen und Gesetze einigen wir uns? Was ist verboten, was Teil unserer Kultur? Den optimalen Dreh haben wir da anscheinend noch nicht raus. Das liegt zumindest nahe, wenn wir auf die Zahlen und Schicksale von Menschen blicken, denen erlaubtes Vergnügen wie Alkoholkonsum oder Glücksspiel enorm schadet – und andererseits auf die schiere Menge von Substanzen, die konsumiert werden, obwohl das verboten ist.
In der vierten und letzten Ausgabe unserer Reihe über Sucht fragen wir deshalb, was Regeln, Verbote, Grauzonen und Legalisierung bringen. Gibt es ein Thema, das wir dabei nicht übersehen dürfen? Ein besonderes Phänomen, dem wir auf den Grund gehen sollen? Teile es uns einfach per E-Mail mit. Natürlich freuen wir uns auch über Post von dir, wenn es andere Ideen, Wünsche oder Fragen gibt, über die du mit uns ins Gespräch kommen möchtest.
Liebe Grüße
Maren und Sören
Anhang
Transparenz
Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum stellen wir am Ende jeder Ausgabe unsere Quellen vollständig dar. Auf der Website ist unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.
In dieser Ausgabe empfehlen wir einen Newsletter der Krautreporter. Sören hat vor etwa einem Jahr als Praktikant in der Redaktion mitgearbeitet und seitdem immer mal wieder frei mitgearbeitet.
Quellen
- Feltmann, K., Elgán, T.H., Strandberg, A.K., Kvillemo, P., Jayaram-Lindström, N., Grabski, M., Waldron, J., Freeman, T., Curran, H.V., Gripenberg, J. (2021): Illicit Drug Use and Associated Problems in the Nightlife Scene: A Potential Setting for Prevention. Int. J. Environ. Res. Public Health 2021, 18, 4789. https://doi.org/10.3390/ijerph18094789
- Helbig, J., Ernst, F., Viohl, L., Roediger, L., Köhler, S., Ströhle, A., Romanczuk-Seiferth, N., Heinz, A., Betzler, F. (2019): Präventionsansätze zur Reduktion von Konsumrisiken in der Berliner Partyszene. Psychiatrische Praxis 2019; 48(08), S. 445-450. https://doi.org/10.1055/a-0992-6904
- Köhler, T., Grau, H. (2021): Kokain abseits von pathologischem Konsum. Eine systematische Literaturübersicht. Suchttherapie 2021; 22(03), S. 124-131. https://doi.org/10.1055/a-1304-6212