Zwei Wochen vor der Bundestagswahl: Wo dein Fokus jetzt sein sollte | Upstream
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Takeaways

Darum geht's in dieser Ausgabe

  • Grafik: Wer bezieht eigentlich Bürgergeld?
  • Medientipps: Diesmal mit einer Utopie für das Jahr 2060, absichtlichen Fehlern in der Krankenakte und einem Perspektivwechsel zur Abschiebehaft.

Hallo!

Seit Wochen beobachten wir einen massiven Abbau demokratischer Prinzipien und Werte: Im Bundestag hat die Mehrheit der Unionsfraktion zusammen mit weiten Teilen von FDP und BSW einen historischen Bruch begangen und mit der AfD zusammengearbeitet, um das Recht auf Asyl weiter einzuschränken. Die USA haben beschlossen, aus der Weltgesundheitsorganisation auszutreten, und begonnen, Menschen massenhaft abzuschieben und in Lager zu sperren

Ezra Klein kommentiert in der New York Times, dass die Taktzahl an Tabubrüchen Strategie sei. Sie folge dem Drehbuch des verurteilten Rechten Steve Bannon. Bannon sagte 2019, die eigentliche Opposition seien die Medien. Man müsse “die Zone fluten”, jeden Tag mit drei Dingen. Medien werden eins aufgreifen – und nicht mit dem Tempo umgehen können.

Auch in Deutschland lassen hart geführte Debatten zunehmend Menschlichkeit vermissen. Sei es bei der Frage des Nachzugs von Familien von subsidiär Schutzsuchenden, dem Stigma psychisch erkrankter Menschen oder dem abwertenden Blick auf Empfänger*innen von Bürgergeld – all das wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Um die soll es in dieser Ausgabe noch einmal gehen: Wir haben unsere Wahlprogramm-Übersicht geupdatet und legen den Fokus aufs Bürgergeld und die Menschen, die es bekommen.

Herzliche Grüße
Maren und Sören

Grafik des Monats

Wer bezieht eigentlich Bürgergeld?

Seit 2023 ersetzt Bürgergeld das Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich oft Hartz IV genannt. Während Arbeitslosengeld I an diejenigen ausgezahlt wird, die in den letzten drei Jahren mindestens ein Jahr lang gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, steht das Bürgergeld Menschen zu, die bedürftig sind. Es soll eine menschenwürdige Existenz sichern, so dass Betroffene an der Gesellschaft teilnehmen können.

Wer bezieht Bürgergeld? 5.571.567 Menschen beziehen Bürgergeld. 951.117 Menschen beziehen Arbeitslosengeld I. Stand: September 2024
Bürgergeld im Vergleich mit Arbeitslosengeld I
Wer bezieht Bürgergeld? Von der 5.471.567 Bürgergeldbezieher*innen waren im September 2024 1.498.342 Menschen nicht erwerbsfähig, fast ausschließlich Kinder unter 15 Jahren. Erwerbsfähig waren 3.973.225 Menschen.
Unterscheidung erwerbsfähiger und nicht-erwerbsfähiger Bürgergeldbezieher*innen

Im September 2024 haben laut Daten der Bundesagentur für Arbeit rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld bezogen. Dabei unterscheidet die Agentur zwischen erwerbsfähigen und nicht-erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher*innen. Letztere sind fast ausschließlich Kinder unter 15 Jahren.

Nicht nur deswegen ist der verbreitete Glaube, Bürgergeldbezieher*innen seien alle arbeitslos, falsch. Selbst von den erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher*innen sind nur 44 % arbeitslos. Nur, wer sind dann die erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher*innen, die nicht arbeitslos sind?

Wer bezieht Bürgergeld? Von der erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher*innen waren im September 2024 2.214.220 Menschen nicht arbeitslos und 1.759.005 Menschen arbeitslos.
Vergleich arbeitsloser und nicht arbeitsloser Bürgergeldbezieher*innen
Wer bezieht Bürgergeld? Von den Menschen, die Bürgergeld beziehen und nicht arbeitslos sind, waren im September 2024 422.961 Menschen in Schule und Ausbildung.
Anteil an Kindern und Jugendlichen in Schule und Ausbildung an Bürgergeldbezieher*innen

Rund 19 % von ihnen sind Kinder und Jugendliche über 15 Jahren, die zur Schule gehen oder in Ausbildung sind. Meist leben sie zusammen mit einer Person, die Anspruch auf Bürgergeld hat. Weitere 12 % sind alleinerziehende Eltern, meist Mütter, oder pflegende Familienangehörige. Rund 10 % sind arbeitsunfähig, 23 % sind in sogenannten arbeitspolitischen Maßnahmen und 19 % in ungeförderter Erwerbsfähigkeit.

Hinter den letzten beiden Begriffen stecken Menschen, die beispielsweise eine Weiterbildung machen, in Kurzarbeit sind oder mit einem Minijob ihren Unterhalt nicht bestreiten können.

Wer bezieht Bürgergeld? Von den Menschen, die Bürgergeld beziehen und nicht arbeitslos sind, waren im September 2024 422.961 Menschen in Schule und Ausbildung, 272.648 Menschen erziehend oder pflegend, 233.810 Menschen arbeitsunfähig, 508.627 Menschen in arbeitspolitischen Maßnahmen und 418.640 Menschen in ungeförderter Erwerbstätigkeit.
Wer ist nicht arbeitslos und bezieht Bürgergeld?
Wer bezieht Bürgergeld? Von den Bürgergeldbezieher*innen waren im September 940.640 Menschen weniger als ein Jahr arbeitslos. Langzeitarbeitslos, also mehr als ein Jahr arbeitslos, waren von der Bürgergeldbezieher*innen 881.030 Menschen. Von den Bezieher*innen von Arbeitslosengeld I waren im September 2024 97.940 Menschen mehr als ein Jahr arbeitslos.
Vergleich weniger als ein Jahr arbeitslos vs. mehr als ein Jahr arbeitslos

Arbeitslos ist damit nur etwa jede dritte Person, die Bürgergeld bezieht. Als langzeitarbeitslos galten im September 2024 881.030 Personen der 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehenden. Ein wesentlicher Aspekt dabei: jede*r zweite von ihnen hat keinen Schulabschluss. Debatten, die alle Bürgergeldbezieher*innen als faul oder arbeitslos darstellen, fehlt es an zweierlei: einerseits an Menschlichkeit, denn hinter jeder dieser Zahlen steht die Geschichte eines Menschen. Andererseits die Faktenbasis: Denn das Framing ist schlicht falsch und unterkomplex.

Medientipps

Was du außerdem wissen solltest

Themenwoche: Gerechtigkeit

Februar 2025, taz, verschiedene Beiträge

Armut und Wohlstand sind in Deutschland ungleich verteilt. Wie sehr und wie sich diese Ungleichheit auf alle Bereiche des Lebens auswirkt, darum geht es vor der Bundestagswahl in der Themenwoche der taz – von Altersarmut und Mietenpolitik bis zur Energiekrise.

Hallo, Fremde!

25.01.2025, Mandy Mangler/Die Zeit, 12 Minuten

Wie wird Gesundheitsversorgung individuell auf die Bedürfnisse der Patient*innen angepasst? Medizin, die zum weiblichen Körper passe, sei es zum oft niedrigeren Gewicht oder Hormonhaushalt von Frauen, stecke heute noch in den Kinderschuhen, schreibt die Autorin und Gynäkologin Mandy Mangler. Sie zeichnet eine Utopie für das Jahr 2060.

Wie die Grundversorgung für Flüchtlinge in Österreich eingeschränkt werden soll

30.01.2025, Ralf Waldhart/moment.at, 6 Minuten

Schaut man dieser Tage nach Österreich, fühlt es sich an wie ein Blick in die Glaskugel für die kommenden Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag. Für das Onlinemagazin des gewerkschaftsnahen Momentum Instituts analysiert Ralf Waldhart, wie die FPÖ und ÖVP im Zuge der Koalitionsverhandlungen planen, die Gesundheitsversorgung für Asylbewerber*innen zu verschlechtern.

Wegsperren, wegschicken

30.01.2025, Joscha Frahm, taz, 21 Minuten

Ali Shreteh ist Anfang 20 und kommt aus Syrien. Als er zur Ausländerbehörde geht, um seine Duldung zu verlängern, warten dort Polizeibeamte. Sie werden ihn bereits am nächsten Tag nach Kroatien abschieben. Doch Ali Shreteh kommt wieder nach Deutschland. Eine Woche später greift ihn die Polizei auf und er kommt in Abschiebehaft. Doch was bedeutet Abschiebehaft eigentlich für einen Menschen – und wie rechtmäßig ist sie?

Mutterschutz nach Fehlgeburt: Was ab Juni gilt

05.02.2025, Dr. Christian Wolf, Apotheken Umschau, 5 Minuten

Schwangere, die vor der 13. Schwangerschaftswoche ihr Kind verlieren, haben ab Juni Anspruch auf Mutterschutz – bislang galt dieser erst ab der 24. Schwangerschaftswoche. Warum, wie der Mutterschutz in Zukunft nach einer Fehlgeburt geregelt ist und warum Kritiker*innen auch die 13. Woche für zu spät halten, ist in der Apotheken Umschau zusammengefasst.

Fragwürdige Angaben in der Patientenakte

29.01.2025, Maria Herbst, Der Spiegel, 10 Minuten

Laut ihrer Patientenakte hatte Sophie Riediger eine depressive Episode. Sie selbst wusste davon nichts. Mit einem falschen Eintrag in der Akte ist sie nicht allein, oft sind die Diagnosen schwer nachzuvollziehen und aufwändig zu widerlegen. Der Verdacht: Ärzt*innen tragen sie ein, um Zeit für Gespräche bei den Krankenkassen abrechnen zu können. Viele Betroffene merken die Fehler erst dann, wenn sie deshalb von privaten Versicherungen abgelehnt werden – und sich nicht mehr vor Berufsunfähigkeit absichern können.

Long Covid: Meine Jahre im Fiebertraum

26.01.2025, Shayna Bhalla, taz, 25 Minuten

“Auf große Teile des Lebens zu verzichten ist auch fünf Jahre nach Pandemiebeginn, die beste Option, die wir Menschen mit Long Covid und ME/CFS zum Management ihrer Krankheit anbieten können.” Shayna Bhalla ist an Long Covid erkrankt und weiß, wie viele andere Betroffene, mehr darüber als viele Ärzt*innen. Und: Wie viele andere Betroffene wartet sie darauf, zuverlässig Versorgung zu bekommen, die nicht nur Krankheitsmanagement bedeutet.

Transparenz

Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum haben wir in dieser Ausgabe alle Quellen direkt im Text verlinkt. Auf der Website findest du unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.

Quellen