Pandemie-Kommunikation funktioniert nicht mit der Gießkanne | Upstream
Abonnieren

Pandemie-Kommunikation funktioniert nicht mit der Gießkanne

Anja Knöchelmann ist Medizinsoziologin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – und unzufrieden mit der Kommunikation in der Pandemie.

Nahaufnahme von Anja Knöchelmann

Interview mit Anja Knöchelmann

Schon zu Beginn der Pandemie hat die Medizinsoziologin Anja Knöchelmann gemeinsam mit Kolleg*innen davor gewarnt, dass bereits bestehende gesundheitliche Ungleichheit durch Corona verstärkt werden könnte. Jetzt, in der vierten Welle, sieht sie ihre Befürchtungen bestätigt – und sie ist frustriert, wie schlecht in der Pandemie kommuniziert wird.

Frau Knöchelmann, heute wissen wir mehr über Corona als Anfang 2020. Hat das Wissen alle erreicht?

Anja Knöchelmann: Die Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation hat so gut wie nicht funktioniert, denn mit dem Gießkannenprinzip kann man nicht alle Menschen erreichen. Nicht jede Person braucht die gleichen Informationen, sondern wir müssen sie zugeschnitten kommunizieren. Das fehlt oft. Aber es gibt auch Positivbeispiele: Die Stadt Bremen hat so eine hohe Impfquote, weil sie dort in die Gebiete gehen, wo die strukturell benachteiligten Personen wohnen.

Wie informiert man diejenigen, die nicht geimpft werden wollen?

Knöchelmann: Da brauchen wir mehr zusätzliche Angebote. Ein Impfangebot ist nicht nur “alle, die wollen, lassen sich impfen”. Es bräuchte davor auch Informationsstände, die aufklären: Was ist die Impfung, was macht sie, was macht sie nicht? Damit könnte man auch Fake News begegnen. Was ebenfalls sinnvoll wäre, ist eine einheitliche Linie der verschiedenen Länder, nicht dieses Hin und Her.

Welches Hin und Her?

Knöchelmann: Wenn in manchen Bundesländern nach fünf Monaten geboostert wird und in anderen nach sechs, dann ist das schwierig. Es ist nicht zu erklären, warum das so ist und weshalb Personen weggeschickt werden, wenn sie sich einen Tag vor Ablauf der Frist impfen lassen wollen. Wenn impfen wichtig ist, dann ist es wichtig.

Also müssen die Länder sich einig werden?

Knöchelmann: Auf allen Ebenen sollte besser kommuniziert werden. Wenn heute das gilt und morgen das, kommen sogar Personen, die sich viel mit dem Thema beschäftigen, nicht mehr hinterher. Und wenn andere Staaten schon vor der neuen Variante warnen und Deutschland keine Maßnahmen beschließt, dann ist das ein gefährliches Zeichen. Im Moment ist es zwischen Bund und Ländern eher ein “ich mache nichts, du machst”, dabei müsste es eigentlich ein “wir machen alle” sein.

Apropos “Wir machen alle”: Zu Beginn der Pandemie gab es zahlreiche solidarische Initiativen aus der Zivilgesellschaft. Wo sind die jetzt hin?

Knöchelmann: Viele Menschen sind pandemiemüde. Sie verhalten sich jetzt im Stillen solidarisch, lassen sich impfen und beschränken ihre Kontakte. Ich glaube, viele haben den Eindruck, sie werden nicht ernst genommen – dafür aber diejenigen, die falsche Wahrheiten verbreiten. Ich würde mir wünschen, dass jetzt mit der neuen Regierung wieder mehr Schwung reinkommt.

Was bringt den Schwung?

Knöchelmann: Gute Kommunikation, ehrliche Kommunikation und mehr Kampf gegen falsche Informationen. Ich glaube, das könnte helfen.Was können Wissenschaftler*innen tun, die mehr und besser kommunizieren wollen?Sie können in ihrer Personalabteilung fragen, wie sie sich fortbilden können. Vielleicht ist es auch nicht verkehrt, Seminare für Wissenschaftskommunikation direkt mit in Forschungsanträge zu schreiben. Es gibt zum Beispiel Fortbildungen für Social Media in der Wissenschaft: Wie präsentiert man seine Ergebnisse, was sind Fallstricke?

Warum sehen wir dann nicht ständig tollste Ergebnisse?

Knöchelmann: Weil diese Angebote noch zu wenig wahrgenommen werden. Oft scheitert es an der Zeit. Platt gesagt: Für dieses Interview kann ich jetzt nicht das machen, wofür meine Abteilung Geld bekommt. Die Kommunikation sollte deshalb auch seitens der Hochschulen mehr geschätzt werden. Sonst passiert genau diese Schere: Wer nichts mit Wissenschaft zu tun hat, kann wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr einordnen und Wissenschaftskompetenz geht verloren.

Gerade das Thema gesundheitliche Ungleichheit geht in der Öffentlichen Debatte oft unter. Warum?

Knöchelmann: Das Problem ist, dass die Ungleichheit strukturelle Gründe hat. Diese strukturellen Gründe anzugehen ist viel Arbeit, mit der man auch vielen Personen auf die Füße tritt. Was es allein für ein Theater gab, weil der Mindestlohn angehoben werden sollte. Das ist eine Kleinigkeit und zwölf Euro sind immer noch nicht viel. Trotzdem gab es darüber so viel Diskussion. Die Politik hat Angst davor, Probleme strukturell anzugehen. Und diejenigen, die es betrifft, haben oft keine Energie, sich einzubringen.

Das ist frustrierend.

Knöchelmann: Tut mir Leid für den negativen Ausblick. Ich bin normalerweise ein optimistischer Mensch, aber in den letzten zwei Jahren ist mir der Optimismus etwas abhanden gekommen.