Teaser für das Interview mit Ralph Krolewski über den Zusammenhang von Klima und Gesundheit und seine Klimasprechstunde. Oben links: Im Interview. Ralph Krolewski. Unten link: Hausarzt in Gummersbach.

“Vergessen Sie das Auto!”

Interview mit Ralph Krolewski

Ralph Krolewski ist Hausarzt im nordhrein-westfälischen Gummersbach. Das Besondere an seiner Praxis: Seine Sprechstunde ist eine “Klimasprechstunde”. Krolewski berät Patient*innen zu einem gesundheitsbewussten und klimafreundlichen Lebensstil. Wie Klima und Gesundheit zusammenhängen und wie Mediziner*innen Klimaschutz fördern können, erklärt er im Interview.

Herr Krolewski, was hat das Klima mit unserer Gesundheit zu tun?

Klima umfasst alles, was uns umgibt: die Luft, die wir atmen, der Boden, der uns ernährt, das Wasser, das wir trinken, das gesamte Ökosystem. Jeder Mensch trifft am Tag über 2000 Entscheidungen. Jede davon hat Folgen für unsere Gesundheit und für unseren ökologischen Fußabdruck. Die Evidenz ist gewaltig, dass wir, wenn wir uns gesund ernähren und fortbewegen, gesundheitliche Vorteile haben und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck verringern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In Deutschland sind wir Couchpotatoes, die sich zu wenig bewegen und sich falsch ernähren. Wir haben eine Übersterblichkeit durch Fehlernährung von etwa 150.000 Todesfällen pro Jahr und gleichzeitig einen der höchsten ökologischen Fußabdrücke weltweit: im Durchschnitt 11,5 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. In Europa liegt der Durchschnitt bei 7,5 Tonnen. Durch individuelle Entscheidungen können wir unseren ökologischen Fußabdruck um bis zu drei Tonnen CO2-Äquivalent senken. Gleichzeitig könnte unsere Lebenszeit bei guter Gesundheit um einige Jahre verlängert werden, hätten weniger Krebs, eine geringere Sterblichkeit aufgrund von Schlaganfall und Herzinfarkt, weniger Diabetes und 30 Prozent weniger Demenzentwicklung.

Seit wann bewegt Sie der Klimaschutz?

Ich beschäftige mich seit 2015 stark mit dem Thema. Dann bin ich auf Eigeninitiative zur Klimakonferenz 2018 nach Katowice gereist. Ich habe an einem Spezialgipfel zu Klimawandel und Gesundheit teilgenommen und den ersten deutschsprachigen Bericht zur Konferenz geschrieben. 2019 habe ich für den Hausärzteverband Nordrhein von der Folgekonferenz in Madrid berichtet. Bislang ist die Berichterstattung in den deutschen Fachgremien sehr dürftig gewesen.

Warum sollten Hausärzt*innen mehr über Klimathemen erfahren?

Es gibt ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, auch für die kommenden Generationen. Das ist in unserer Verfassung verankert. Ich kann natürlich dafür werben, dass wir mehr Klimaschutz brauchen und mich für eine engagierte Klimaschutzpolitik in Deutschland aussprechen und dass wir das 1,5°C-Ziel des Pariser Abkommens erfüllen. Als Hausärzt*innen sind wir Frontliner und oft die ersten Ansprechpartner*innen für Patient*innen. Für mich hat sich die Frage gestellt: Was mache ich in meinem täglichen Alltag damit?

Wie setzen Sie Klimaschutz im Praxisalltag um?

Die Klimasprechstunde ist mein Begegnungsraum mit den Patient*innen. Entscheidend für jede Intervention sind die Patient*innensituation sowie individuelle Gesundheitsziele. Wir reden darüber, was Patient*innen selbst tun können. Dabei spreche ich die individuellen Gesundheitsziele an und erwähne auch positive Klimschutzeffekte bei Interesse.

Wie kann das in einem konkreten Fall ablaufen?

Vor kurzem kam eine 23-jährige Patientin mit Leistenschmerzen zu mir. Es handelte sich um eine Leistenzerrung. Das ist nichts schlimmes, dabei könnte man es belassen. Aber in der Klimasprechstunde interessieren mich sogenannte Kontextfaktoren: Welche Risiken bestehen, dass die Beschwerden erneut auftreten? Die Patientin hat erzählt, dass sie in einer Bank arbeitet, eine sitzende Tätigkeit, und einen Arbeitsweg von 3,5 Kilometern mit dem Auto zurücklegt. Dann habe ich mit ihr darüber gesprochen, dass das Risiko, wiederkehrende Leisten- oder Rückenschmerzen zu bekommen, sehr hoch ist, wenn sie weiterhin mit dem PKW zur Arbeit fährt und dort den ganzen Tag sitzt. Ich habe sie gefragt, wie sie ihren Arbeitsweg gestalten könnte, um ihre Muskulatur zu aktivieren und am Arbeitsplatz gesund zu bleiben. Sie hatte selbst schon die Idee, sich ein E-Bike zu kaufen und damit zur Arbeit zu fahren. Ich konnte ihr einen Impuls zu dieser Handlung geben und sie hat gesagt: Ja, das will ich machen.

Was für Infomaterial geben Sie den Patient*innen nach so einer Klimasprechstunde mit?

Patient*innen bekommen von mir einen individualisierten Patient*innenbrief. Bei einer Gesundheitsuntersuchung ist das ein dreiseitiger Schriftsatz mit Laborwerten, Risikobewertungen, Ernährungsprotokoll, Hinweisen zu gesunder Ernährung und so weiter. Es sind Links zum Nachlesen dabei. Und beim nächsten Besuch der Patient*innen kann ich nachfragen, was daraus geworden ist.

Wie kommt das bei den Patient*innen an?

Es wird gut aufgenommen, weil Patient*innen das Gefühl haben, dass ich sie ernst nehme und mit ihnen zusammenarbeite. Das ist ein sehr spannender Prozess, die Leute sind sehr interessiert. Ich stoße kaum auf Widerstand.

Auch bei Themen wie Ernährung, bei denen es vielen schwerfällt, Gewohnheiten langfristig zu ändern?

Wenn Patient*innen sich interessieren, zeige ich ihnen empfehlenswerte Ratgeber, zum Beispiel den Ernährungskompass von Bas Kast. In Deutschland gibt es keine Empfehlungen der Regierung zu gesunder Ernährung wie in anderen Ländern. Ich zeige gern das Beispiel Kanada: Dort wurden die offiziellen Ernährungsempfehlungen vor zwei Jahren umgestellt auf planetare Diät. Die sagen nicht “Fleischverzicht”, sondern zeigen mit einem gefüllten Teller, wie eine vollwertige und vielseitige Ernährung aussieht. Die Kanadier machen das mit einer Charmeoffensive, ihre Gesundheitsministerin Ginette Petitpas Taylor spricht sich positiv für gesunde Ernährung aus. Jetzt stellen Sie sich mal Jens Spahn in der Küche vor! Wir wollen keine Widerstände erhöhen, sondern Leute begeistern.

Wie klimafreundlich ist Ihr eigener Alltag?

Ich mache seit 1993 Hausbesuche mit dem Fahrrad. Dafür habe ich ein Pedelec im Einsatz, mit dem ich mit meiner gesamten Ausrüstung auf 100 Quadratkilometern unterwegs bin. In der Waldgegend hier habe ich damit eine hohe effektive Geschwindigkeit im Gegensatz zu Autofahrenden. Ich habe vier bis fünfmal mehr Wege zur Verfügung und fahre wunderbare Strecken mit tollen Aussichten. Mit meinen 65 Jahren fühle ich mich pudelwohl. Ich bringe in meiner 55- bis 60-Stunden-Arbeitswoche meine Bewegung über die Hausbesuche mit unter. Ebenfalls habe ich mit meiner Familie unsere Ernährung auf Flexitarian umgestellt, als Kompromiss von allen. Das entspricht der planetaren Diät.

Als Medizinstudent*in hört man oft: Später brauchst du auf jeden Fall ein Auto, wenn du Hausbesuche machen musst.

Vergessen Sie es! Ich kriege meine Aufgaben als Radfahrer bewältigt und die Patient*innen mögen das. Ich bin der Klimadoc, der mit dem Fahrrad kommt. Wenn ich mit meinen Kolleg*innen spreche, dann sind 30 Prozent von ihnen erschöpft oder leiden am Burn-out-Syndrom. Die hocken genau so lange in ihren Praxen wie ich, aber sie fahren mit dem Auto. Zwischen zum Teil belastenden Hausbesuchen bei schwerstkranken Patienten brauche ich die Aktivierung meiner Muskeln und die frische Luft als Ausgleich.

Apropos Medizinstudium: Gibt es Bestrebungen, Klimawandel und Gesundheit mit in das Curriculum aufzunehmen?

Ich sehe drei Ansatzpunkte: Es gibt Studiengänge, die ein Wahlfach anbieten. Zweitens erarbeiten Health-for-Future-Gruppen mit dem Institut für medizinische Prüfungsfragen Fragenkataloge. Und drittens habe ich selbst bald eine Famulantin der Uni Aachen bei mir in der Praxis. Sie wird die Instrumente der Klimasprechstunde kennenlernen, die Patienten und die Hausbesuche mit dem Fahrrad.

Was raten Sie ihren Kolleg*innen?

Aktuell laufen über die Global Family Doctors sieben Fortbildungsmodule zum Thema Klimawandel und Gesundheit. Weltweit können sich Hausärzt*innen einwählen und sieben Module belegen, mit CME-Punkten. Das läuft also schon im großen Stil. Jeder, der sich interessiert, kann sich fortbilden. Wir haben jetzt noch zehn Jahre Zeit, Klimaschutz konsequent umzusetzen und uns als Ärztinnen und Ärzte in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Wenn wir die Planetary Health Values, das bedeutet, gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten, nicht ernst nehmen, dann verletzen wir das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn wir uns hingegen dieser Dimension öffnen, werden wir dankbare Patient*innen haben und kommen selbst weiter. Ich kann jeden ermutigen, darüber nachzudenken.

Schlagworte:

Lass uns gemeinsam den gesundheitlichen Auswir­kungen von Ungleichheit auf den Grund gehen.

Abonniere uns über Steady