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Eine Win-Win-Situation für die Gesundheit und das Klima

Sylvia Hartmann erklärt, was hinter dem Begriff Planetary Health steckt und wieso Gesundheit ein wichtiges Thema der Klimabewegung ist.

Sylvia Hartmann ist Ärztin und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit – kurz KLUG. Schon als Studentin an der Berliner Charité interessierte sie sich für den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit und engagierte sich unter anderem in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden. Auf den Klimakonferenzen 2016 und 2017 hat Hartmann Mitstreiter*innen kennengelernt und gemeinsam mit ihnen KLUG gegründet. Derzeit ist sie dort unter anderem für die Planetary Health Academy zuständig.

Upstream: Frau Hartmann, was hat der Klimawandel mit unserer Gesundheit zu tun?

Sylvia Hartmann: Obwohl das Thema kaum im Medizinstudium vorkommt, sehr viel. Bereits 2009 hat The Lancet geschrieben, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für die globale Gesundheit des 21. Jahrhunderts ist. Die Auswirkungen sind sehr vielfältig, direkt und indirekt. Direkt, das haben wir zum Beispiel letzte Woche bei der Hitze gemerkt: Unser Körper leidet unter lang anhaltenden heißen Temperaturen. Das ist unabhängig davon, auf welchem Teil der Erde wir aufgewachsen sind. Das bedeutet auch, dass 2050 um den Äquator der Mensch nicht mehr wie bisher leben kann, weil die Lebensbedingungen dort menschenunfreundlich sein werden.

Und was sind die indirekten Folgen?

Hartmann: Neben Hitze und anderen zunehmenden Wetterextremen wie Stürmen oder Überflutungen, werden mehr Allergien in Deutschland auftreten und sie werden stärker sein, weil sich die Pollensaison verlängert sowie die Pollenkonzentration erhöht. Aber auch Infektionserkrankungen werden zunehmen, da sich die Bedingungen für Infektionen wie zum Beispiel bei Dengue oder dem West-Nil-Virus verbessern. Auch die Risiken für die mentale Gesundheit sind hoch, zum Beispiel aufgrund von Konflikten um Ressourcen, klimabedingter Migration oder einfach der Ungewissheit, was mit der Erde, der eigenen Heimat passiert. Das ist belastend für Menschen jeden Alters.

Sie sind Mitgründerin der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Wie engagiert sich der Verein?

Hartmann: Wir sind ein Netzwerk aktiver Menschen aus dem Gesundheitswesen und zum Teil auch aus anderen Disziplinen, mit dem Ziel, das Thema Gesundheit in die Klimadebatte mit einzubringen. Wir wollen zeigen, dass die Klimakrise auch für uns hier in Deutschland deutliche gesundheitliche Auswirkungen hat. Klimaschutz ist zudem gleichzeitig Prävention und damit Gesundheitsschutz.

Wie sieht das praktisch aus?

Hartmann: Wir schaffen Bildungsangebote, wie zum Beispiel die Planetary Health Academy oder ein Buch zu Planetary Health, das demnächst erscheint. Wir haben zudem Arbeitsgruppen, die im Bereich Divestment aktiv sind, also der Frage, wie das Geld der ärztlichen Rentenversicherung angelegt wird. Dann gibt es Ehrenamtliche, die sich dafür einsetzen, dass Krankenhäuser klimaneutral werden können oder darüber informieren, wie Ärzt*innen und Praxen ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren und gleichzeitig ihre Patient*innen aufklären können. Und wiederum andere beschäftigen sich mit der Frage, wie wir eine nachhaltige Ernährung breitflächig etablieren können.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen Klimadiskurs und Gesundheitsdiskurs?

Hartmann: Da sehe ich Parallelen, wenn es um die Verantwortlichkeit geht. In puncto Ernährung heißt es häufig, Sie müssen sich einfach gesünder ernähren. Wenn man sich mit Public Health beschäftigt, weiß man jedoch, dass die Ernährung nicht nur vom eigenen Verhalten abhängt. Sie wird stark vom Umfeld geprägt, in dem wir uns befinden, in welchem sozialen Milieu wir uns bewegen oder wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind. Derzeit sind die Strukturen so, dass sie es uns schwer machen, die gesündere Wahl zu treffen. Wenn wir möchten, dass Menschen gesund bleiben, warum machen wir es ihnen so schwer, sich auch gesund zu ernähren oder sich gesund zu verhalten? Das lässt sich ebenso auf den Klimadiskurs übertragen: Wenn wir möchten, dass Menschen sich klimafreundlich verhalten, dann muss dass auch die einfache Wahl sein. Das heißt, es braucht Anreize für klimafreundliches Verhalten: So könnte zum Beispiel die Nutzung des Fahrrads oder des Nahverkehrs in Städten erleichtert und die Nutzung des Autos erschwert werden.

Dazu kommt teilweise reger Widerstand gegen Klimaschutz in Politik und Gesellschaft. Woran liegt das?

Hartmann: Klimaschutz wurde über Jahre als Verzicht kommuniziert. Das ist in den Köpfen der Menschen stark verankert. Dabei wird außer Acht gelassen, dass der Verlust des Nichthandelns der tatsächlich reale und viel größere Verlust ist.

Was genau versteht man unter Planetary Health?

Hartmann: Planetary Health betrachtet den Zusammenhang zwischen unserer Umwelt und menschlicher Gesundheit. Es wird geschaut, wie sich menschengemachte Umweltveränderungen, wie beispielsweise die Klimakrise, auf die menschliche Gesundheit auswirken. Planetary Health versteht sich sowohl als neue Disziplin, die die Systeme zusammen denkt, als auch als Bewegung, die versucht Umweltschutz voranzutreiben, um die Gesundheit von Menschen zu bewahren.

Seit 2020 gibt es die Planetary Health Academy. Worum geht es dabei?

Hartmann: Die Planetary Health Academy ist ein Online-Lehrformat, bei dem wir Menschen aus interdisziplinären Gruppierungen einladen: Klimaforscher*innen, Politikwissenschaftler*innen, Philosoph*innen oder Kommunikationsexpert*innen und Ärzt*innen. Die Frage, wie sich Umweltveränderungen auf die Gesundheit auswirken, betrifft ein großes Feld an Disziplinen. Bis vor vielen Jahren hat sich jede*r auf seinen eigenen Themenbereich fokussiert. Jetzt betrachten wir es intradisziplinär.

Wird das angenommen?

Hartmann: Total! Als wir begonnen haben war die Nachfrage enorm. Zu Beginn gab es auch nur an zwei deutschen medizinischen Fakultäten Wahlfächer dazu. Mittlerweile sind alle etwas Zoom-müde. Dadurch sind die Teilnehmer*innenzahlen etwas gesunken. Und glücklicherweise gibt es mittlerweile acht medizinische Fakultäten, die das in ihren Lehrplan implementiert haben und weitere, die es derzeit planen. Planetary Health ist auch seit kurzem im Nationalen Lernzielkatalog des Medizinstudiums und bald auch im medizinischen Staatsexamen enthalten. Wir hoffen, dass sich diese Entwicklung auch auf andere Gesundheitsberufe ausweitet.

Wenn es ganz schlecht kommt, was bedeutet der Klimawandel für die Erde, aber auch für uns Menschen und unsere Gesundheit?

Hartmann: Wir werden uns auf ganz neue Zustände einstellen müssen. Die Erde wird deutlich unbewohnbarer, als sie das jetzt ist. Menschen werden aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil entweder die Temperaturen so hoch sind, dass sie dort nicht mehr leben können, oder weil durch Dürre und Ernteverluste das Wasser und die Lebensmittel knapp werden. Wir werden auch hier mit unserem Gesundheitssystem nicht auf eine solche Situation vorbereitet sein. Die meisten Gebäude sind nicht für so große Hitze ausgelegt. Von Wassermangel hört man ja jetzt schon immer mal wieder, wenn die Bauern nicht genug Wasser haben. Dann ist eventuell ein Regal nicht wegen Corona leer gekauft, sondern Produkte auch so nicht vorhanden, weil es Ernteverluste gibt.

Und was sind die besten Aussichten, die wir haben?

Hartmann: Wir können in einer Welt leben, in der es uns physisch und mental besser geht, weil wir in einer Umwelt leben, die unsere Gesundheit fördert. Und gleichzeitig würde es auch unserem Klima besser gehen.

Wie kann das in Deutschland erreicht werden?

Hartmann: In Deutschland wohnen 77% der Menschen in Städten. Darum sollten Städte auch für Menschen gebaut werden. Die Infrastruktur muss so umgebaut werden, dass Menschen das Auto weniger brauchen. Weniger Verbrauch von fossilen Energieträgern bremst die ansteigende CO2-Konzentration und verbessert die Luft – eine Win-Win-Situation für Gesundheit und Klima. Gleichzeitig sinkt die Lärmbelastung, auch ein Risikofaktor für unter anderem kardiovaskuläre Erkrankungen. Städte müssen grüner gestaltet werden, denn Bäume reinigen die Luft, spenden Schatten und verbessern das psychische Wohlbefinden. Und wenn wir die Ernährungsempfehlungen der Planetary Health Diet anpassen, ernähren wir uns nachhaltig für uns und für die Welt.

Was können Mediziner*innen und Pflegende tun, um sich aktiv für die guten Aussichten und gegen die Horrorszenarien einzusetzen?

Hartmann: Sie können sich mit Patient*innen austauschen. Die Gesundheitsberufe genießen ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung und erreichen Menschen aus verschiedensten Gruppen. Sie können auch das Gespräch mit Politiker*innen suchen, als Privatperson oder über Interessenverbände. Natürlich können sie auch zur lokalen Health for Future-Gruppe gehen und schauen, welche Projekte es dort gibt. Wir unterstützen diejenigen, die das Thema Klimawandel aufgreifen mit Material, Wissen, Erfahrung und Netzwerken. Wichtig ist, dass wir handeln. Aus den Fehlern, die wir dabei machen, können wir lernen. Aber den Fehler des Nichthandelns können wir nicht wieder gut machen.