“Oft geht es darum, auszuhalten, dass es eine schwierige Situation ist” | Upstream
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“Oft geht es darum, auszuhalten, dass es eine schwierige Situation ist”

Vivian Kalfa arbeitet im Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

Symbolbild: Bernburger Straße in Halle (Saale) bei Abenddämmerung. Bild: F.A. Grafie/Unsplash

Menschen, die nach einer Flucht in Deutschland ankommen, haben erstmal keinen Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung. Wer sich im Asylverfahren befindet oder abgelehnt worden ist, kann nicht einfach zur Psychotherapie gehen. Das Psychosoziale Zentrum für Migrantinnen und Migranten (PSZ) schließt diese Lücke in Sachsen-Anhalt. Aus dem ganzen Bundesland kommen im Jahr etwa 400 Geflüchtete zu den Standorten in Halle und Magdeburg, vor allem für psychologische und Sozialberatung. Eine der Berater*innen ist die Psychologin Vivian Kalfa. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

Upstream: Frau Kalfa, mit welchen Erkrankungen und Bedarfen wenden sich Geflüchtete an das Psychosoziale Zentrum?

Vivian Kalfa: Zu uns kommen Menschen mit dem gesamten Spektrum an psychischen Erkrankungen. Oft sind sie traumatisiert depressiv, leiden unter Angstattacken oder Persönlichkeitsstörungen. Viele suchen aber auch einfach nur Beratung, weil sie die Perspektivlosigkeit ihrer unsicheren Aufenthaltssituation belastet. Wenn man jahrelang nicht arbeiten darf oder in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, ist das zermürbend.

Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit von der mit Menschen ohne Fluchterfahrung?

Kalfa: Zum einen sind die Themen andere: Schlimme Erlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht, Angst um die Familie, die im Herkunftsland oder in Camps in Griechenland festsitzt. Zum anderen sind unsere Möglichkeiten viel geringer. Deutsche Patient\*innen könnten wir leicht an geeignete Stellen weitervermitteln. Das ist für geflüchtete Menschen, je nach Aufenthaltsstatus, nicht möglich.

Wie können Sie Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus trotzdem helfen?

Kalfa: Die Prozesse sind langwierig und stellenweise aussichtslos. Oft geht es darum, zuzuhören, da zu sein und auszuhalten, dass es eine schwierige Situation und nicht veränderbar ist.

Macht es einen Unterschied, ob Menschen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind oder nicht?

Kalfa: In Gemeinschaftsunterkünften ist es laut, Freizeitaktivitäten sind beschränkt, Zugang zum Internet ist beschränkt. Fast alle Klient*innen bei uns leiden an Schlafstörungen. Wir erleben einerseits Familien, die mehr Ruhe brauchen und eine sichere Umgebung, andererseits alleinstehende Männer, die in Gemeinschaftsunterkünften im Nirgendwo sitzen, von Rassismus betroffen sind und keine Möglichkeit haben, sich zu integrieren. Da ist der Wunsch, wegzuziehen, verständlicherweise ein großes Thema.

Was ist, wenn jemand stationäre Behandlung benötigt?

Kalfa: Wenn ein*e Klient*in sich nicht von Suizidalität distanzieren kann, weisen wir sie oder ihn akut ein. Bei geplanten Einweisungen gibt es aber Hürden. Ein*e Psychiater*in muss einen Einweisungsschein erstellen und das Sozialamt muss dem zustimmen. Dann muss man eine Klinik finden. Es gibt zwar ein paar spezialisierte Kliniken, an die wir versuchen, unsere Klient*innen zu vermitteln. Aber bei vielen Kliniken haben wir nicht den Eindruck, dass ihnen geholfen ist, wenn sie dorthin kommen.

Warum können die Kliniken nicht helfen?

Kalfa: In Psychiatrien finden viele Therapien in Gruppen statt. Dadurch sind die Klient*innen isoliert, denn die meisten Kliniken arbeiten nicht mit Sprachmittler*innen. Es gibt Menschen, die Angst haben, nicht zu wissen was passiert, oder von ihrer Familie getrennt zu sein. Einige waren auch schon mal stationär und sagen: Auf gar keinen Fall, ich möchte das nie wieder erleben.

Wie überwinden Sie sprachliche Barrieren in der Beratung?

Kalfa: Bei uns finden einige muttersprachliche Therapien statt, aber in der Regel bieten wir Gespräche mit Sprachmittler*innen an, die dafür geschult sind. Das ist quasi ein Setting mit drei Personen. Die Klient*innen gewöhnen sich da auch relativ schnell dran.

Können Sie das für alle Sprachen anbieten?

Kalfa: Für die gängigen Sprachen klappt das gut. Bei manchen Sprachen, Somali zum Beispiel, ist es schwierig, geeignete Menschen zu finden. Uns ist wichtig, dass sie in den Communitys nicht zu involviert sind, damit die Klient*innen sich sicher fühlen. Die Beratung steht ja unter Schweigepflicht, aber es ist eben etwas anderes, wenn man abends dann noch seinem Sprachmittler, quasi seinem Freund, begegnet. Darum achten wir stark darauf, dass kein Kontakt außerhalb der Behandlung stattfindet.

Gelingt es Ihnen, Klient*innen in das reguläre Versorgungssystem übermitteln, sobald deren Aufenthaltsstatus gesichert ist?

Kalfa: Wir versuchen es, haben aber eigentlich keine Kapazitäten dafür. Das ist unbefriedigend, denn wir wissen, dass sie nicht in der Regelversorgung ankommen. Oft werden sie weggeschickt, mit einer Therapeut*innenliste und einer Anleitung, wie sie einen Termin für eine Sprechstunde machen können. Wenn jemand einen Psychotherapieplatz in Magdeburg, Halle oder Merseburg findet, können wir Dolmetscher*innen vermitteln. Das geht aber nur vor Ort. Und die Psychotherapeut*innen müssen offen dafür sein. Oft läuft das sehr schleppend.

Als Beratende und Sprachmittler*innen erfahren Sie dabei von sehr belastenden Themen. Wie gehen Sie damit um?

Kalfa: Die Behandler*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen haben monatlich eine Intervision und eine Supervision. Da besprechen wir schwierige Fälle und Themen. Und wir tauschen uns viel im Team aus. Für die Sprachmittler*innen bieten wir alle drei Monate eine Intervision an. Wir versuchen im Alltag immer, eine Nachbesprechung zu machen und uns Zeit zu nehmen, wenn wir merken, dass die Themen für die Sprachmittler*innen belastend waren. Außerdem bieten wir regelmäßig Seminare in Selbstfürsorge an, damit sie die Dinge, die sie hören, nicht mit nach Hause nehmen.

Das PSZ bietet auch Fortbildungen für Menschen an, die in Geflüchtetenunterkünften arbeiten oder sich ehrenamtlich engagieren. Worum geht es da?

Kalfa: Die Hauptthemen sind der Umgang mit psychisch erkrankten Geflüchteten und Selbstfürsorge. Gerade für Selbstfürsorge gibt es Bedarf für langfristige Unterstützung, denn die Überlastung ist sowohl bei Hauptberufler*innen als auch bei Ehrenamtlichen oft groß.

Viele Mediziner*innen und Psycholog*innen haben in ihrem Alltag wenig Kontakt zu Geflüchteten. Wie können sie sie trotzdem unterstützen?

Kalfa: Vor allen Dingen sollten sie Geflüchtete so behandeln, wie sie jeden anderen Menschen auch behandeln würden. Die Rassismuserfahrungen, die unsere Klient*innen schildern, sind erschreckend. Für uns ist es jedes Mal eine große Freude und Entlastung, wenn jemand bei Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen landet, bei denen man das Gefühl hat, sie kümmern sich.