Unser Tag hat nicht die gleichen 24 Stunden | Upstream
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Takeaways

Darum geht's in dieser Ausgabe:

Hallo!

Ungleichheit macht krank. Wenn wir darüber sprechen, geht es meist um ungleiche Einkommen, Teilhabe oder Diskriminierung. Einen Faktor haben wir noch nicht betrachtet: Zeit . Das ändern wir in dieser Ausgabe – auch aus aktuellem Anlass, denn die Regierung aus Union und SPD sieht vor, den Acht-Stunden-Tag gegen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu tauschen.

Auf der Uhr und im Kalender haben wir alle die gleiche Zeit. Doch ob wir in diesen Stunden arbeiten oder entspannen, ob wir frei darüber entscheiden oder Termine und Verpflichtungen haben, ist unterschiedlich. Wie groß die Differenzen sind und wie Zeit unsere Gesundheit beeinflusst, das erfährst du in dieser Ausgabe.

Herzliche Grüße

Maren

P.S.: Vor einigen Wochen hat Sören sich einen weiteren Zeitfaktor angesehen: die zunehmende Ungleichheit der Lebenserwartung. Wenn du unsere Arbeit unterstützen willst, kannst du das hier tun – so wie unser neues Mitglied Moritz. Vielen Dank für deinen Support!

Grafik des Monats

So verschieden verbringen wir Zeit

Ein Balkendiagramm stellt die durchschnittliche wöchentliche Zeit für Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren laut der Zeitverwendungserhebung 2022 dar. Erwerbsarbeit verteilte sich so: Frauen mit Kind(ern): 18:14 Stunden. Männer mit Kind(ern): 32:50 Stunden. Frauen ohne Kind: 23:13 Stunden. Männer ohne Kind: 28:15 Stunden. Unbezahlte Arbeit war wie folgt verteilt: Frauen mit Kind(ern). 39:27 Stunden. Männer mit Kind(ern): 24:54 Stunden. Frauen ohne Kind: 24:20 Stunden. Männer ohne Kind: 17:35 Stunden.

Erwachsene Menschen in Deutschland verbringen laut der Zeitverwendungserhebung 2022 des Statistischen Bundesamtes viel Zeit mit Arbeit – im Schnitt etwa 45 Stunden pro Woche. Je nach Lebenssituation kann es deutlich mehr sein: So arbeiten Eltern mit mehr als 57 Stunden pro Woche im Schnitt gut zehn Stunden mehr als gleichaltrige Menschen ohne Kinder.

Während Väter etwa die Hälfte dieser 57 Stunden bezahlt arbeiten, bekommen Mütter nur für ein Drittel ihrer Arbeitszeit Geld. Die restliche Zeit leisten sie unbezahlte Arbeit, kümmern sich um den Haushalt, die Kinder oder die Pflege von Angehörigen. Dieser Unterschied wird als Gender Care Gap bezeichnet: Frauen leisten laut der Erhebung im Durchschnitt rund 44 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer.

Um sich um sich selbst zu kümmern, zu essen, zu schlafen und zu duschen, haben Alleinerziehende und Paare mit Kindernder Erhebung zufolge am wenigsten Zeit: rund zehneinhalb Stunden am Tag. Paare ohne Kinder können sich im Schnitt eine Stunde länger regenerieren. Auch wer arbeitet, hat laut Statistik im Schnitt weniger Zeit für Erholung als Menschen, die studieren, arbeitslos oder in Rente sind. Erwerbstätige nutzen zudem etwas weniger Zeit für Sport, Hobbys, soziale Kontakte und Unterhaltung.

Schlaglichter

Vier Studien, die zeigen, wie Arbeit und Freizeit deine Gesundheit beeinflussen

Wer Freizeit hat, um Sport zu machen, kann länger gesund leben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt pro Woche mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität – etwa spazieren gehen, tanzen oder entspannt Radfahren – oder 75 Minuten Sport, bei dem man ins Schwitzen kommt.

Wer so aktiv ist, kann laut einer aktuellen Studie im Schnitt ein bis zwei Jahre länger ohne Krankheiten wie Krebs, Lungenerkrankungen, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leben als Menschen, die sich weniger bewegen. Die Wissenschaftler*innen haben Daten hunderttausender Personen aus Finnland, Frankreich, Schweden und dem Vereinigten Königreich ausgewertet. Dabei haben sie festgestellt, dass Menschen mit höheren Risikofaktoren (etwa Armut oder Rauchen) stärker von Bewegung profitieren als Menschen mit besseren Ausgangsbedingungen. Das gleiche Level an gesunden Lebensjahren wie Personen, die durch Wohlstand oder Lebensstil geschützt sind, erreichen sie aber nicht.

Arbeit stemmst du anders als Gewichte

Im Gegensatz zu Sport in der Freizeit kannkörperliche Arbeit krank machen. Dieser Effekt wird als “Physical Activity Paradox” bezeichnet – zu Deutsch etwa Bewegungsparadox. Eine 2021 erschienene Studie, bei der Daten aus den Jahren 2003 bis 2014 von mehr als 100.000 dänischen Männern und Frauen ausgewertet wurden, hat den Effekt auf schwere kardiovaskuläre Erkrankungen und allgemeine Mortalitätnachgewiesen. Und: Sie hat gezeigt, dass er auch unabhängig von weiteren Variablen wie dem Lebensstil auftritt.

Die Wissenschaftler*innen erklären sich bisher den Unterschied damit, dass Menschen sich in ihrer Freizeit abwechslungsreich bewegen und sich erholen können, während körperliche Arbeit oft aus den gleichen Bewegungen besteht und Arbeiter*innen weniger Zeit zur Erholung bleibt.

Kürzere Arbeitszeit verbessert die Work-Life-Balance

Kürzere Arbeitszeiten können die Gesundheit, die Zufriedenheit und die Work-Life-Balance langfristig verbessern. Das hat eine 2024 veröffentlichte Untersuchung exemplarisch an einem österreichischen Marketing-Unternehmen gezeigt, das 2018 die Arbeitszeit bei gleichem Lohn von 38,5 Stunden auf 30 Stunden gesenkt hat. Noch vier Jahre später berichteten Beschäftigte von positiven Effekten, etwa mehr Zeit für Familie, Freunde, Sport und andere Hobbys. Zwei von drei Befragten gaben an, mehr Zeit für gesunde Ernährung zu nutzen, zwei von fünf schliefen länger.

Die Ergebnisse entsprechen denen eines 2020 veröffentlichten systematischen Reviews von Studien zu Arbeitszeitverkürzungen: Der Großteil zeigte, dass kürzere Arbeitszeiten zu besserer Work-Life-Balance führten. Allerdings hätten viele der betrachteten Unternehmen die Umstellung wieder zurückgenommen, weil die Kosten zu hoch gewesen seien.

Medientipps

Was du außerdem wissen solltest

Journalistin in Gaza: “Ich sterbe in Zeitlupe”

31.05.2025, Ghada Alkurd/Der Spiegel, 9 Minuten

Die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen ist von Hungersnot bedroht. Davor warnte Ende Mai das Nothilfebüro der Vereinten Nationen. Die Journalistin Ghada Alkurd ist kurz vor Beginn des Krieges aus der Türkei nach Gaza zurückgekehrt. Dort lebt sie zusammen mit ihren zehn und zwölf Jahre alten Töchtern. Sie berichtet über ihren Alltag als Frau, als Journalistin und als Mutter.

Kassenpatienten, bitte warten!

14.05.2025, Der Spiegel, 13 Minuten

Eigentlich sollten gesetzlich versicherte Patient*innen genauso schnell einen Praxistermin bekommen wie privat versicherte. Das fordert zumindest der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sagt, das sei auch gegeben. Eine Datenanalyse der Termine auf der Plattform “Doctolib” zeigt, wie groß die Ungleichheit bei der Terminvergabe tatsächlich ist.

“#Skinnytok”: Wenn dünne Körper trenden

23.05.2025, Eva Carolin Keller/Brigitte, 5 Minuten

Ozempic, Filter und ein propagiertes “Mindset” lassen Körperbilder der Neunziger- und Nullerjahre wieder aufleben. Weiße, normschöne, nicht-behinderte, schlanke und wohlhabende Menschen sind nicht nur auf TikTok Trend, sondern bestimmen auch abseits davon wieder die Sehgewohnheiten. Das hat Folgen: Jugendliche riskieren, eine Essstörung zu entwickeln und die Gesellschaft driftet zurück in alte Rollenbilder.

Arbeitskampf im Krankenhaus

03.06.2025, Jonas Wahmkow/taz, 4 Minuten

An der Charité in Berlin streiken Beschäftigte des Tochterunternehmens Charité Facility Management (CFM) seit Wochen. Die Mitarbeiter*innen sind im Krankenhaus unter anderem für Reinigung, Krankentransporte und Medizintechnik zuständig. Bislang bekommen sie deutlich weniger Geld als ihre Kolleg*innen, die mit Tarifvertrag bei der Charité angestellt sind. Das könnte sich nun ändern.

Billig bis tödlich – Fälschern auf der Spur

19.05.2025, NDR, 1 Stunde

Markennamen zu Billigpreisen gibt es nicht nur bei Taschen, Schuhen oder Klamotten, auch gefälschte Medikamente sind im Umlauf – von Botox und Ozempic bis hin zu Mitteln gegen Krebs. Woher sie kommen und welche Schadstoffe in Textilien, Kunstleder, Tabletten, Spritzen und Ampullen zu finden sind, zeigt dieser Film.

Messerangriff in Hamburg: Entlassung in die Obdachlosigkeit ist kein Einzelfall

30.05.2025, Luisa Faust/taz, 4 Minuten

Ende Mai sind in Hamburg 18 Menschen bei einem Messerangriff verletzt worden. Die mutmaßliche Täterin soll sich Berichten zufolge in einem psychischen Ausnahmezustand befunden haben. Offenbar war sie am Vortag aus einer Klinik in die Obdachlosigkeit entlassen worden. “Eine menschliche Tragödie”, sagt der Psychologe Thomas Bock. Dass psychisch erkrankte Menschen nach dem Klinikaufenthalt keine Wohnung haben, komme immer wieder vor. Im Interview erklärt er, was dagegen getan werden muss.

Kletterhallen: Luft, so dreckig wie an viel befahrenen Straßen

13.05.2025, Marina Weishaupt/National Geographic, 2 Minuten

Wer in der Halle klettert oder bouldert, atmet dort mitunter Luft ein, deren Qualität so schlecht ist wie an Großstadt-Straßen. Wissenschaftler*innen haben Luft aus Hallen in mehreren europäischen Ländern untersucht – und darin mehrere gesundheitsschädliche Chemikalien gefunden. Die Partikel stammen offenbar von Kletterschuhen, deren Material sich abreibt, ähnlich wie Gummi und Beschichtung an Autoreifen.

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Transparenz

Quellen

  • Arlinghaus, A., Vetter, C. & Gärtner, J. (2024): Die 30-Stunden-Woche in der Praxis: Effekte einer Arbeitszeitverkürzung auf Gesundheit, Work-Life-Balance und Arbeitsorganisation. Z. Arb. Wiss. 78, 66–77 (2024). https://doi.org/10.1007/s41449-023-00401-6 
  • Holtermann, A., Schnohr, Pl. Nordestgaard, B. G., Marott, J. L. (2021): The physical activity paradox in cardiovascular disease and all-cause mortality: the contemporary Copenhagen General Population Study with 104 046 adults, European Heart Journal, Volume 42, Issue 15, 14 April 2021, Pages 1499–1511,https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab087
  • Jansen-Preilowski, V.V., Paruzel, A. & Maier, G.W. (2020): Arbeitszeitgestaltung in der digitalisierten Arbeitswelt: Ein systematisches Literatur Review zur Wirkung von Arbeitszeitverkürzung in Bezug auf die psychische Gesundheit. Gr Interakt Org 51, 331–343 (2020). https://doi.org/10.1007/s11612-020-00530-0 
  • Krüger, N., Kott, K., Behrends, S. (2022): Zeitverwendung. Hrsg.: Statistisches Bundesamt (Destatis). Online abrufbar bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
  • Nyberg, S. et al. (2025): Health benefits of leisure-time physical activity by socioeconomic status, lifestyle risk, and mental health: a multicohort study. The Lancet Public Health, Volume 10, Issue 2, e124 - e135. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S2468-2667(24)00300-1 

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