Europas Außengrenzen sind tödlich
Die EU-Mitgliedsstaaten streiten seit Jahren über den Umgang mit Asylsuchenden. Währenddessen werden die Außengrenzen immer tödlicher und illegale Pushbacks häufen sich. Wie geht es den Menschen auf der Balkanroute? Und wer unterstützt sie?
Takeaways
Darum geht's in dieser Ausgabe
- Praxistauglich: Wie ein Verein Menschen unterstützt, die an den europäischen Außengrenzen festsitzen
- Schlaglichter: Das machen Pushbacks mit den Menschen auf der Balkanroute
- Überblick: Das passiert an Europas Außengrenzen
- Aktuelles: Dieses Mal mit Armut, Leiharbeit, Krankenhausessen und weiteren ungesunden Snacks
Hallo!
Wenn diese Ausgabe in deinem Postfach landet, ist der sogenannte Flüchtlingsgipfel vorbei. In den Nachrichten wirst du vermutlich viel über Zahlen und Gelder hören, die Bund und Länder am Mittwoch diskutiert haben. Ein Teil der aktuellen Debatte über Geflüchtete ist der Vorstoß von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), dass Menschen, die in die EU wollen, künftig direkt an den Außengrenzen Asylverfahren durchlaufen sollen. So sollen Menschen, die geringe Chancen auf Asyl haben, gar nach Deutschland gelangen. Die EU-Kommission unterstützt die Pläne. Die Organisation Pro Asyl spricht von einem “menschenrechtlichen Dammbruch”.
Die Debatte um Flucht und Migration ist oft abstrakt: Es geht um Zahlen, Quoten, Paragrafen. Dabei gehört jede einzelne Fluchtgeschichte zu einem Menschen. Wir wollen deshalb genauer hinsehen: Wie geht es denjenigen, die sich auf den Weg in die Europäische Union machen? Dafür haben wir mit der Aktivistin Lina gesprochen, die die Lage an den Außengrenzen in Bosnien-Herzegowina und Serbien gut kennt. Wir werten aus, wo und wie Behörden Pushbacks durchführen und geben dir einen Überblick über die Grenzregionen.
Liebe Grüße
Sören und Maren
P.S.: Das ist der dritte Teil unserer Reihe über ungleiche Gesundheit in Europa. Den Anfang der Reihe findest du in unserem Archiv. Wenn dir dieser Newsletter weitergeleitet wurde und dir gefällt, was wir machen, dann abonniere uns doch direkt!
Praxistauglich
Feuerholz gegen den tödlichen Winter an Europas Grenzen
Die Balkanroute führt Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Elend nach Europa flüchten, über die Türkei und Griechenland in mittel- und westeuropäische Staaten – jedenfalls, wenn sie Glück haben. Denn das “Game”, wie der Grenzübertritt von Bosnien-Herzegowina nach Kroatien von den Flüchtenden genannt wird, ist tatsächlich ein Glücksspiel. Auf anderen Strecken der Route, beispielsweise an der serbisch-ungarischen Grenze, sind die Menschen auf Schmuggelstrukturen angewiesen, um meterhohe Grenzzäune zu überwinden.
Das berichtet Lina, die in den vergangenen zwei Jahren mehrfach vor Ort gewesen ist. Sie ist bei “Blindspots” aktiv, einem Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen an Orten zu supporten, die wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, und auf die Zustände dort aufmerksam zu machen. Dazu gehören unter anderem Regionen an den EU-Außengrenzen, wo die Aktivist*innen in sogenannten Squats Fenster, Türen und Öfen einbauen und Feuerholz liefern.
Squats, das seien meist leerstehende Orte, halbfertige Häuser, zurückgelassene Gebäude, abgebrannte Baracken oder Garagen. Viele der Flüchtenden wohnen Lina zufolge lieber dort als in staatlichen Camps, weil diese oft weit weg von den Grenzen und jeglicher Anbindung seien, die Lebensbedingungen schlecht und Selbstbestimmung kaum möglich. Doch auch in den Squats sei die Lage prekär: Weil die Gebäude so kaputt seien, würden die Menschen dort häufig in Zelten wohnen, um zumindest etwas Schutz und Privatsphäre zu haben.
Immer wieder sterben Menschen an den Grenzen
Wenn man an die EU-Außengrenzen denkt, denke man oft eher an direkte Grenzgewalt als daran, wie stark die Umstände die Gesundheit beeinträchtigen, meint Lina: “Es hat einen großen Einfluss, wenn man wochen- oder monatelang in der Kälte schläft. Oder wenn man Wunden hat, die nicht richtig versorgt werden können, weil es kein sauberes Wasser gibt.” Auch Rauch von offenen Feuern belaste – und sei gleichzeitig notwendig, um sich aufzuwärmen oder etwas zu Essen zu kochen. Immer wieder sterben Menschen, berichtet Lina.
Medizinische Hilfe gebe es für die Menschen auf der Flucht dagegen kaum. Organisationen wie Medical Volunteers International würden zwar Notversorgung leisten und auch in den Camps gebe es eine Grundversorgung, doch bei größeren Problemen hätten viele Menschen keinen Zugang zu einer Behandlung, sagt Lina. Die Krankenhäuser würden sie wegschicken oder hohe Kosten fordern. So blieben viele Krankheiten unbehandelt und könnten chronisch werden.
Das “Game”: Pushbacks, Gewalt und Foltermethoden
Hinzu kommen laut Lina Pushbacks und Gewalt an den Grenzen, die Blindspots als Teil des Border Violence Monitoring Networks dokumentiert: “Wir machen Interviews mit Menschen, die gepushbackt wurden. Es gibt einen detaillierten Fragebogen: Wie, wo, welche Polizei war dabei, was ist passiert?” Die Datenbank des Netzwerks enthalte mehr als 25.000 solcher illegaler und gewaltsamer Zurückweisungen.
Menschen, die das “Game” an der bosnisch-kroatischen Grenze verloren haben und von den Behörden zurückgeschickt wurden, berichten laut Lina zum Teil von Foltermethoden: “Oft werden ihnen alle Wertgegenstände abgenommen, sie müssen sich ausziehen und unbekleidet durch Flüsse, Wälder und Schnee zurück.” Es gebe körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt: “Muslimische Personen müssen den Koran verbrennen oder zerreißen oder ihnen werden Kreuze auf die Schädel gemalt. Menschen werden in Vans gesteckt, dann wird stundenlang die Klimaanlage auf- und wieder zugedreht.” Oder der Van fahre durch das Gebirge, bis den Insassen schlecht wird und sie erbrechen. “Irgendwann, früh am Morgen, werden sie zurück an die Grenze gebracht”, sagt Lina, “Sie müssen sie selber überqueren und wieder in die Squats oder Lager kommen.”
Blindspots will mehr als humanitäre Erstversorgung leisten
Lina meint, an den Außengrenzen der EU werde einem bewusst, dass diese Zustände gewollt seien: Dass sie so schlimm sein sollen, dass Menschen sich gar nicht erst auf den Weg nach Europa machen. “Die Vorstellung, dass unsere EU-Außengrenzen schlimmer sind als Bürgerkriegsgebiete, ist pervers und menschenunwürdig”, sagt sie. Blindspots habe deshalb auch einen politischen Anspruch: “Es geht uns nicht nur um eine humanitäre Erstversorgung mit Öfen und Feuerholz, sondern auch darum, auf die Zustände aufmerksam zu machen und sie zu verändern.”
Wie sich die Situation in Serbien von der in Bosnien-Herzegowina unterscheidet, wie die Aktivist*innen von Blindspots vor Ort helfen und was genau sie an den Zuständen ändern wollen: Über all das haben wir mit Lina in einem Interview gesprochen. Hier kannst du es lesen.
Schlaglichter
Das machen Pushbacks mit den Menschen auf der Balkanroute
Ereignisse auf den Fluchtrouten über das Mittelmeer oder den Balkan sind immer wieder Thema in den Medien. Wir haben nach Studien gesucht, die sich mit den Erfahrungen insbesondere auf der Balkanroute beschäftigen. Zwei davon zeigen wir dir hier:
Pushbacks: Gedemütigt, geschlagen, gezeichnet
Forscher*innen aus Serbien haben sich die Frage gestellt, welche Auswirkungen die Erfahrungen auf der Balkanroute und die Pushbacks auf die Psyche von Geflüchteten, Asylsuchenden und Migrant*innen haben. Für die im European Journal of Psychotraumatology veröffentlichte Studie fragten sie zwischen Mai und Juli 2021 201 Menschen (überwiegend Männer), die sich in Serbien unter anderem in Asyl- und Aufnahmezentren aufhielten, nach ihren Erfahrungen.
- Rund zwei Drittel der Befragten gaben an, mindestens einen Pushback erlebt zu haben.
- Davon gaben 80,8 Prozent an, während des Pushbacks beleidigt, bedroht oder erniedrigt worden zu sein. 71,9 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen persönliche Gegenstände oder ihr Geld weggenommen wurden.
- Jede zweite Person gab an, beim Pushback physische Gewalt erlebt zu haben. Etwa jede sechste Person berichtete von sexualisierter Gewalt.
Um festzustellen, in welchem Zusammenhang traumatische Erfahrungen bei Pushbacks mit der psychischen Gesundheit standen, benutzten die Forschenden unter anderem den “Refugee Health Screener”. Das ist ein Fragebogen, der in diesem Fall aus 13 Fragen bestand und die Symptome von Depressionen, Angstzuständen und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) auf einer Skala von 0 bis 4 erfragt. Ab einem Schwellwert von zwölf Punkten gelten Teilnehmer*innen als psychisch vulnerabel.
- Von den Teilnehmer*innen hatte jede*r zweite Symptome schwerer Depressionen, 37,3 % hatten Symptome von Angstzuständen und 32,3 % wiesen Symptome einer PTBS auf.
- Hatte ein*e Teilnehmer*in traumatische Erfahrungen während der Migration gemacht, hatte er*sie wahrscheinlicher Depressionen, Angstzustände oder PTBS.
- Teilnehmer*innen, die einen Pushback erlebt hatten, zeigten eine stärkere Ausprägung von Symptomen von Depressionen, Ängsten und PTBS.
- Gab eine Person an, während des Pushbacks traumatische Erfahrungen gemacht zu haben, litt sie mit höherer Wahrscheinlichkeit an Depressionen.
Die Forschenden betonen: “Adäquate und effektive Maßnahmen, um den notwendigen Schutz von Menschen mit Bedarf nach internationalem Schutz zu gewährleisten, wurden nicht vorgenommen.”
Männer auf der Flucht: “Ich fühle mich, als wäre ich weniger wert”
Im Jahr 2022 wurden in der Europäischen Union 881.200 Erstanträge auf Asyl gestellt, davon 70,8 Prozent von Männern(2021: 69 %, 2020: 63,8 %). Während geflüchteten Frauen und Kindern ein besonderer Schutzstatus zugeschrieben wird, ist die demographische Struktur von “flüchtenden jungen Männern” immer wieder Thema der Berichterstattung über Geflüchtete. Eine Forscher*innengruppe von “Ärzte ohne Grenzen” wollte wissen, welchen geschlechtsspezifischen Herausforderungen sich diese jungen Männer auf der Balkanroute ausgesetzt sehen.
Durch ihre Arbeit in der serbischen Hauptstadt Belgrad hatten die Forschenden die Parkanlagen rund um den Bahnhof als typischen Treffpunkt für Migrant*innen ausgemacht. Für die 2018 im Journal Social Science & Medicine veröffentlichte Studie akquirierten sie dort 30 Männer aus Afghanistan, Syrien, Irak, Pakistan, Marokko und Algerien, die alleine nach Europa reisten, als Teilnehmer für Einzelinterviews und Gruppengespräche.
- Laut den Teilnehmern waren ihre Grundbedürfnisse nach Essen und Wasser während der Flucht nicht ausreichend gedeckt. Einige Teilnehmer äußerten, dass Schmuggler*innen Frauen und Kinder bevorzugt mit Essen und Trinken versorgt hätten. Männer seien dazu gedrängt worden, bei schlechten Wetterbedingungen und schwierigem Terrain Familien dabei zu unterstützen, ihr Gepäck zu tragen.
- Die Mehrheit der Teilnehmer ordnete ein, dass Frauen und Kinder in bestimmten Bereichen mehr Support brauchen würden und dort bevorzugt behandelt werden sollten. Trotzdem gab es ein Gefühl von Unfairness und außen vor gelassen sein.
- Über die Bedingungen bei Pushbacks berichtete ein Teilnehmer: “In Ungarn haben sie uns erwischt. Sie nahmen unsere Kleidung und wir mussten in Unterhose in den Schnee. Sie ließen Hunde auf uns, dann haben sie uns geschlagen. Danach gaben sie uns unsere Kleidung zurück und traten uns in den Arsch. In Kroatien zerstörten sie unsere Sachen, auch unsere Smartphones. In Rumänien sagten sie, wollt ihr ins Gefängnis oder zurückgeführt werden. Wir sagten dann, wir wollen zurückgeführt werden.” (eigene Übersetzung)
- Einige Teilnehmer berichteten von psychosomatischen Symptomen durch den anhaltenden und außergewöhnlichen Stress, den sie erfahren hatten. Darunter: Kopfschmerzen, Tremores und Herzklopfen. Ein Teilnehmer sagte: “Ich habe keine bestimmte Krankheit, nur diesen Stress. Wenn du diesen Stress nur für eine Stunde hast, dann geht es dir schlechter. Ich bin jetzt aber schon seit drei Jahren auf dieser Reise.” (eigene Übersetzung)
Die Forscher*innen ziehen vier Schlüsse aus ihren Beobachtungen:
- Vulnerabilität sollte auf individueller Ebene eingeschätzt werden. Zu häufig werde angenommen, männliche Migrant*innen seien resilient und sorgten für sich selbst.
- Medizinische und psychologische Versorgung müsse an die systematische Aussetzung von traumatischen Erfahrungen angepasst werden, statt sich auf akute psychologische Symptome zu fokussieren.
- Regierungs- wie Nicht-Regierungs-Organisationen, die entlang der Migrationsrouten aktiv sind, müssten für die Sicherung der Grundbedürfnisse aller Migrant*innen sorgen, unabhängig von Geschlecht und rechtlichem Status.
- Europäische Regierungen müssten legale und sichere Migrations- und Asylmechanismen finden, statt durch Maßnahmen wie Pushbacks, Ausweisungen oder Abschiebungen immer risikoreichere Migrationsrouten zu fördern.
Überblick
Das passiert an Europas Außengrenzen
Eigentlich wollten wir dir in dieser Ausgabe haarklein zeigen, wie die Lage an Europas Außengrenzen ist: Welche Routen nehmen Menschen auf der Flucht? Wie hindert die EU sie am Grenzübertritt? Wo findet Gewalt statt, wo Pushbacks, wo sind die Außengrenzen tödlich?
Dieses Vorhaben mussten wir aufgeben, nachdem bereits unsere erste grobe und unvollständige Sammlung mehrere Seiten hatte. Die Lage lässt sich kaum vollständig und kompakt darstellen, auch, weil sie an vielen Stellen intransparent ist.
Einen Eindruck von der Grenzgewalt gibt die Datenbank des Borderviolence Monitoring Network, zu dem auch der Verein “Blindspots” aus unserem Praxistauglich-Bericht gehört. Wir geben dir hier einen groben Überblick über Europas Außengrenzen, die zum Teil noch mitten in Europa bestehen:
Das passiert an der Balkanroute
Bulgarien hat 2014 angefangen, einen Zaun an der Grenze zur Türkei zu bauen und ihn nach und nach zu erweitern. Es gibt Berichte von Pushbacks, im vergangenen Jahr wurde offenbar ein Geflüchteter von bulgarischen Grenzbeamten angeschossen.
An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei ist der Grenzfluss Evros immer wieder ein tödliches Hindernis. Zusätzlich gibt es einen Zaun, den Griechenland weiter ausbauen will. Zwischen Griechenland und Nordmazedonien ist 2015 ein Grenzzaun errichtet worden.
Serbien hat 2020 begonnen, einen Zaun an der Grenze zu Nordmazedonien zu bauen. Im Grenzgebiet zwischen Serbien, Ungarn und Rumänien gibt es Berichte über Gewalt und Pushbacks. Ungarn hat entlang der Grenze zu Serbien einen Zaun errichtet. Zuletzt saßen viele Menschen im Norden Serbiens fest und berichteten von Elend in den Grenzstädten, Gewalt an der Grenze und von Pushbacks.
Auch zu Kroatien hat Ungarn einen Grenzzaun. Zwischen Kroatien und Serbien verläuft die Donau an einem weiten Teil der Grenze. Auch hier berichten Geflüchtete von Pushbacks.
Seitdem Kroatien Teil des Schengenraums ist, haben laut Human Rights Watch die Pushbacks nach Bosnien Herzegowina zugenommen. Berichten zufolge kommt es immer wieder zu Gewalt und Folter, so, wie auch Lina vom Verein Blindspots im Interview erzählt. Im bosnischen Lager Lipa entsteht aktuell ein von der EU beauftragter Internierungstrakt.
Slowenien hatte 2015 einen Zaun an der Grenze zu Kroatien errichtet. Im vergangenen Jahr hat die Regierung aber beschlossen, ihn wieder abzubauen.
Österreich macht seit 2015 an den Grenzen zu Ungarn und zu Slowenien mit Grenzkontrollen Ausnahmen vom Schengen-Abkommen, die immer wieder verlängert werden.
Das passiert an der Grenze zwischen Polen und Belarus
Die belarussische Regierung hat Ende 2021 Menschen gezielt an die Grenze zu Polen gebracht, mit dem Versprechen einer Einreise in die EU. Diese Einreise hat Polen jedoch verhindert oder versucht, zu verhindern: Mit Soldaten, Grenzbeamten, Pushbacks und mit einem Zaun, der 2022 durch eine Mauer ersetzt worden ist. Mehrere Menschen sind im Grenzgebiet gestorben.
Nach dem Vorbild der Grenze zu Belarus sichert Polen nun auch die Grenze zur russischen Enklave Kaliningrad.
Das passiert im Mittelmeerraum
In den ersten drei Monaten des Jahres 2023 sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 441 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Das sei die höchste Zahl für ein erstes Quartal seit 2017 und nach Angaben der IOM auf Verzögerungen bei staatlichen Rettungsmaßnahmen und Behinderungen von Rettungsschiffen von Nichtregierungsorganisationen zurückzuführen.
Im Mai 2023 meldete die NGO Mare Liberum, die Umstände zwängen sie, die Dokumentation von Pushbacks zu stoppen.
Frontex beobachtet den Mittelmeerraum teilweise automatisiert mit Hilfe von Satellitenbildern und gibt die Daten von Bewegungen in der Wüste in Niger oder Bootsbewegungen an der Küste und auf dem Mittelmeer mutmaßlich zur “Migrationsabwehr” über EU-Staaten an Drittstaaten weiter.
Im Juni 2022 sind mindestens 37 Menschen gestorben, die versucht haben, die Grenze zwischen Marokko und Spanien bei Melilla zu überwinden.
Monitor-Recherchen zufolge benutzt Italien geheime Gefängnisse auf alten Fähren, um sie von Italien zurück nach Griechenland zu bringen.
Seit Jahren gibt es immer wieder Berichte von Pushbacks aus Griechenland. Ein besonders krasser Fall: Der Syrer Ibrahim, der bereits sieben Jahren in Leipzig lebte, wollte im Sommer 2021 einen Bekannten in der griechischen Region Evros besuchen. Griechische Polizist*innen nahmen ihm ohne Angabe von Gründen seine Dokumente weg und inhaftierten ihn. Einen Tag später zwangen ihn dem Bericht des ZDF zufolge vermummte Polizeibeamte, auf ein Schlauchboot zu steigen, welches sie kurz vor der türkischen Küste freisetzten. Ibrahim schwamm ans Land und gelangte nach Istanbul, wo er sich bei der Botschaft meldete. Da diese ihn monatelang warten ließ, entschloss er sich zu einer zweiten Flucht über Italien. Zum Zeitpunkt des Berichts ist noch ungeklärt, ob er eine Einreisebewilligung bekommen wird.
Aktuelles
Was du sonst noch wissen solltest
- Dass Krankenhausessen selten gut schmeckt, ist für viele Patient*innen ärgerlich. Für einige kann die schlechte Qualität sogar lebensgefährlich sein. Wie Mangelernährung Patient*innen in Krankenhäusern bedroht und wie wenig gegen das Problem getan wird, zeigt dieser Beitrag bei ZDF frontal.
- Kinder, die in Armut aufwachsen, können nichts dafür – doch das bedeutet nicht, dass ihre Eltern Schuld an der Lage wären. Olivier David erklärt in seiner Kolumne “Klassentreffen”, warum Armut politisch betrachtet werden muss.
- Zum Schutz von Leiharbeiter*innen gelten verschärfte Gesetze. Firmen umgehen diese jedoch mit einem neuen System: Arbeiten in den Niederlanden, Wohnen in Deutschland. Die Leiharbeiter*innen werden so weiterhin ausgebeutet, sind von Gewalt, Obdachlosigkeit und Elend bedroht, zeigt dieser Film von Report Mainz.
- Wie viel Salz hast du heute schon gegessen? Die WHO empfiehlt höchstens fünf Gramm pro Tag. Durch verarbeitete Snacks nehmen wir aber oft mehr zu uns. Was das mit dem Körper macht, hat Han Park für STRG_F ausprobiert.
- Wie viel Inklusion und Teilhabe bietet die Stadt Leipzig Menschen mit Behinderung? An welchen Stellen sind sie mit impliziter, latenter oder sogar ganz expliziter Behindertenfeindlichkeit konfrontiert? Darum geht es in der aktuellen Folge des Podcasts “Bei uns doch nicht”, zu hören bei den Freien Radios, Spotify oder Mixcloud.
- Rund 4,5 Millionen Babys und Gebärende sterben laut Bericht von UN-Organisationen weltweit pro Jahr. Diese Zahl könnte sinken, habe sich aber seit 2015 nicht verändert. Gründe seien neben Corona vor allem Armut und humanitäre Krisen.
Ausblick
Als Filmempfehlung können wir euch den Dokumentarfilm “The Game” mit auf den Weg geben. Der Film aus dem Jahr 2021 zeigt eindrücklich die Situation in den Squads und was die Situation auf der Balkanroute mit den Menschen auf der Flucht und den Helfer*innen macht. Außerdem gibt er eine Vorstellung vom Camp Lipa in Bosnien, von dem Lina vom Verein Blindspots in dieser Ausgabe berichtet.
Bei Upstream recherchieren wir, wie Ungleichheit krank macht – und was dagegen getan werden kann. Um den Fokus mal wieder stärker auf den zweiten Teil unserer Mission zu richten, schauen wir in unserer nächsten Ausgabe, wer sich für faire Gesundheit in Europa einsetzt.
Hast du Ideen oder Vorschläge, mit wem wir sprechen sollten? Schreib uns.
Anhang
Transparenz
Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum stellen wir am Ende jeder Ausgabe unsere Quellen vollständig dar. Auf der Website ist unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.
Quellen
- Arsenijević, Jovana/Burtscher, Doris/Ponthieu, Aurelie/Severy, Nathalie/Contenta, Andrea/Moissaing, Stephane/Argenziano, Stefano/Zamatto, Federica/Zachariah, Rony/Ali, Engy/Venables, Emilie 2018. “I feel like I am less than other people”: Health-related vulnerabilities of male migrants travelling alone on their journey to Europe. in: Social Science & Medicine, Volume 209. <https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2018.05.038 >. (zuletzt abgerufen: 08.05.2023)
- Eurostat 2023. Asylum applicants by type of applicant, citizenship, age and sex - annual aggregated data. 02.05.2023. <https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/MIGR_ASYAPPCTZA__custom_6141053/default/table?lang=en>. (zuletzt abgerufen: 09.05.2023)
- Hollifield, Michael/Verbillis-Kolp, Sasha/Farmer, Beth/Toolson, Eric C./Woldehaimanot, Tsegaba/Yamazaki, Junko/Holland, Annette/St. Clair, Janet/SooHoo, Janet 2013. The Refugee Health Screener-15 (RHS-15): development and validation of an instrument for anxiety, depression, and PTSD in refugees. in: General Hospital Psychiatry, Vol. 35, Issue 2. <https://doi.org/10.1016/j.genhosppsych.2012.12.002 >. (zuletzt abgerufen: 05.05.2023)
- Vukčević Marković, M./ Bobić, A./Živanović, M. 2023. The effects of traumatic experiences during transit and pushback on the mental health of refugees, asylum seekers, and migrants. European journal of psychotraumatology. Vol. 14,1. <https://doi.org/10.1080/20008066.2022.2163064 >. (zuletzt abgerufen: 05.05.2023)