Nach der Wahl in Thüringen und Sachsen: Zuhören, aber richtig! | Upstream
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Hallo,

mit dem Wahlsieg der AfD in Thüringen und dem starken Abschneiden in Sachsen ist klar, die politische Landschaft hat einen tiefen Riss erfahren. Statt in Schockstarre zu verharren oder die politischen Ideen der AfD zu übernehmen, gilt es jetzt zuzuhören – und zwar den richtigen. Denjenigen, die von der politischen Verschiebung nach rechts am stärksten betroffen sind: marginalisierte Menschen aus migrantischen Communities, Menschen mit Behinderung, Menschen in queeren Communities und all jene, die oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Ihre Perspektiven müssen in den Fokus rücken, wenn wir über die Zukunft unserer Gesellschaft sprechen.

In dieser Ausgabe schauen wir, für welche Politik sich rund ein Drittel der Wahlberechtigten in Thüringen und Sachsen entschieden hat, die für eine Partei gestimmt haben, deren rechtsextreme Einstellungen längst bekannt sind. In den Medientipps richten wir unseren Blick auf diejenigen, die die Folgen dieser politischen Ideen schon heute spüren.

Passt auf euch auf!
Maren und Sören

Grafik des Monats

Auf der Grafik ist eine Wahlurne zu sehen, in die ein symbolischer Wahlzettel fliegt. Darüber steht: 1.115.978 Zweitstimmen für die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Daneben fliegen zwei weitere angedeutete Wahlzettel. Auf einem steht: Thüringen, 396.704 Zweitstimmen AfD, auf dem anderen: Sachsen, 719.274 Zweitstimmen AfD. Quelle: Vorläufige Wahlergebnisse am 4.9.24

So will AfD-Politik die Gesundheit von Menschen beschränken

1.115.978: Das ist laut dem vorläufigen Wahlergebnis die Summe der Wähler*innen, die bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ihre Zweitstimme für die AfD abgegeben haben. 

Was die Stärke der AfD in den Landtagen für die Gesundheitspolitik bedeutet, lassen die Wahlprogramme erahnen. Neben Forderungen, wie sie auch demokratische Parteien vertreten, etwa, das Gesundheitssystem weniger in private Hände zu legen, die Pflege zu stärken und die medizinische Versorgung auf dem Land zu verbessern, ist auch zu lesen, wer ausgeschlossen und welche Bereiche geschwächt werden sollen:

  • In Thüringen fordert die AfD weniger Gesundheitsversorgung für Geflüchtete. Die Versorgung anerkannter Asylbewerber*innen solle nicht der von anderen Krankenversicherten entsprechen. Wer nicht anerkannt oder abgelehnt ist, solle nur noch notversorgt werden. Die Gesundheitskarte, die Geflüchtete in Thüringen seit 2017 haben, soll demnach gestrichen werden.
  • Familienpolitik ist auf die heteronormative Kleinfamilie ausgerichtet und darauf, dass Vater und Mutter Kinder auf die Welt bringen.
  • Das Bürgergeld in seiner aktuellen Form lehnt die AfD ab. In Sachsen will die Partei Regelbedarfssätze anpassen und Sanktionen verschärfen.
  • Der Zugang zu Abtreibungen soll nicht erleichtert werden und Beratungen vor allem das Ziel haben, dass die schwangere Person das Kind gebärt.
  • Pubertätsblocker für Minderjährige – also trans*, inter* und nicht-binäre Jugendliche – sollen stark eingeschränkt oder gar nicht mehr ausgegeben werden.
  • In Schulen soll es weniger Inklusion geben: Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten sollen vor allem an Förderschulen unterrichtet werden.
  • Sexualerziehung von Kindern in Kitas und Schulen soll eingeschränkt werden. In Thüringen fordert die AfD, das Thema erst nach der Grundschule zu behandeln.
  • Die AfD will die staatliche Förderung von Projekten beenden, die sie für “fragwürdig” hält oder aus politischen Gründen ablehnt. Das könnte Projekte betreffen, die das Klima schützen wollen, akzeptierende Drogenarbeit leisten oder migrantische Selbstorganisationen.

Das sind nur acht Punkte, wie AfD-Politik die Gesundheit von Menschen beeinflussen würde – unabhängig davon, ob sie die Forderungen auf Landesebene tatsächlich umsetzen könnte. Ähnlich sieht es auch im Wahlprogramm der Partei in Brandenburg aus, wo am 22. September Landtagswahl ist.

Medientipps

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