Health at Every Size: Du brauchst keine Waage, um gesund zu sein | Upstream
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Takeaways

Das erwartet dich in dieser Ausgabe

  • Konzept erklärt: Was steckt hinter “Health at Every Size” und wie lässt es sich in der Praxis umsetzen?
  • Praxistauglich: Zwei Berater*innen aus der Upstream-Community zeigen, wie sie “Health at Every Size” umsetzen.
  • Interview: Der Fettforscher Friedrich Schorb erklärt, wie Medizin und Public Health zu Fettfeindlichkeit beitragen und was die Ideologie des Healthism damit zu tun hat.
  • Aktuelles: Diesmal unter anderem mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch, als Kinderschutz verkleideter Transfeindlichkeit und dem Suchtpotential von Sportwetten.

Moin!

Wenn du diesen Newsletter das erste Mal liest, hier schreibt Sören Engels. Ich bin freier Journalist und recherchiere gemeinsam mit Maren Wilczek, wie Ungleichheit krank macht. Aktuell untersuchen wir in einer Reihe die Ungleichheit von (dicken) Körpern.

In der ersten Ausgabe der Reihe haben wir uns angeschaut, wie es dazu kommt, dass viele Medien die Metapher vom Übergewicht als Epidemie verwenden und anhand eines Tellers Spaghetti geschaut, wie komplex die Zusammenhänge rund um unser Körpergewicht wirklich sind.

In der zweiten Ausgabe haben wir gefragt, was es mit uns macht, wenn unser Körper pathologisiert wird? Kann man davon sprechen, dass die WHO Gewalt ausübt? Und wie würde Gesundheitspolitik aussehen, die jede Körperform akzeptiert?

In dieser dritten Ausgabe wollen wir den Blick in die Praxis richten. Wir stellen das Konzept “Health at Every Size” vor und sprechen mit dem Fettforscher Friedrich Schorb.

Viel Spaß beim Lesen!

Dein
Sören

P.S. Ich würde mich freuen, wenn du die Ausgabe an Freund*innen oder Kolleg*innen weiterleitest, wenn Sie dir gefällt.

Konzept erklärt

“Health at Every Size”: Ein Ansatz ohne Gewicht?

Hast du schon mal eine Diät gemacht? Wahrscheinlich ja. Einige von uns haben bereits die ein oder andere Diät hinter sich. Viele kennen die Erfahrung, dass die verlorenen Kilos nach der Diät wieder zurück kommen.

Forscher*innen der University of California haben die Diätkultur kritisch begutachtet und zahlreiche Diät-Studien analysiert. Sie stellten fest, dass ein bis zwei Drittel der Menschen, die eine Diät durchgeführt hatten, nach einer Diät mehr gewogen haben als zuvor. Die Autor*innen beschreiben die negativen Folgen von Gewichtscycling, also dem Jojo-Effekt, und kommen zum Schluss:

“Der Nutzen von Diäten ist zu gering und potentielle Schäden durch das Durchführen einer Diät sind zu groß, um es als sichere und effektive Therapie für Übergewicht zu empfehlen.”

Wie kann es besser gelingen?

Wenn der Fokus auf Körpergewicht und Therapien in Form von Diäten mehr schaden als nutzen, sollte man sich dann vielleicht von ihnen lösen? Der Ansatz von “Health at Every Size” (HAES) versucht genau diesen Paradigmenwechsel. Er hinterfragt sechs Annahmen, mit denen wir Übergewicht betrachten:

  1. Adipositas stellt ein signifikantes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko dar
  2. Gewichtsverlust hält ein Leben lang an
  3. Jede*r, der*die möchte, kann Gewicht verlieren durch eine entsprechende Diät und Bewegung
  4. Das Ziel abzunehmen ist ein sinnvolles und positives Ziel
  5. Der einzige Weg für Menschen mit Übergewicht, ihre Gesundheit zu verbessern, ist abzunehmen
  6. Übergewicht belastet das Wirtschafts- und Gesundheitssystem. Das kann durch verstärkte Aufmerksamkeit auf die Behandlung und Prävention von Übergewicht korrigiert werden.

Im Paper Weight Science: Evaluating the Evidence for a Paradigm Shift gehen Linda Bacon und Lucy Aphramor den sechs Annahmen auf den Grund, die den traditionell gewichtsorientierten Modellen zugrunde liegen.

>>> Mich interessiert deine Meinung. Wie stehst du zu den Annahmen, die “Health at Every Size” hinterfragt? Von welchen fällt es dir leichter, dich von ihnen zu lösen, von welchen schwerer? Und warum? Antworte gerne direkt auf diese Mail.

Wie steht es um die Evidenz von “Health at Every Size”?

In einem Paper von 2015 analysieren Tarra Penney und Sara Kirk die Evidenz von “Health at Every Size”. Dabei zeigen sie, dass in den durchgeführten Studien Interventionen mit dem HAES-Ansatz im Vergleich zu klassischen Interventionen langfristig die metabolische Gesundheit erhöhen können.

Die Autorinnen heben hervor, dass HAES insbesondere im Bereich der Entstigmatisierung eine Vorreiterrolle einnimmt. Auch wenn es in den höheren Adipositas-Einstufungen nach BMI noch an Evidenz mangele, zeige sich bei den niedrigeren Stufen Erfolg bei der Körperakzeptanz.

Die beiden Forscherinnen unterstreichen die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in Bezug auf den gesellschaftlichen Umgang mit dicken Menschen, nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Politik. Allerdings fordern sie auch, stärkere empirische Evidenz durch Studien mit größeren und repräsentativen Stichproben zu etablieren.

Gleichzeitig sei es wichtig, gesundheitsschädliche Umgebungen als Public Health-Ansatz nicht aus den Augen zu verlieren. Nur weil es schwieriger sei, auf struktureller Ebene Veränderungen zu bewirken, dürfe diese Ebene nicht vernachlässigt werden.

Bis dahin gilt es, den Nachwuchs zu sensibilisieren: Die Wissenschaftlerin Teresa Drake hat an der US-amerikanischen Bradley University untersucht, wie sich fettfeindliche Einstellungen von Student*innen verändern, wenn der “Health at Every Size”-Ansatz in den Studienplan eingebettet wurde.

Sie bildete zwei Gruppen, von denen eine an einem zweitägigen HAES-Modul teilnahm. Das Ergebnis: Während bei der Kontrollgruppe die Einstellungen gleich blieben, verbesserte sich die Einstellung von Student*innen, die an dem HAES-Curriculum teilnahmen, signifikant.

Welche Kritik gibt es an dem Ansatz?

Bei meiner Recherche ist mir Kritik aus zwei Lagern begegnet. Die einen sagen, der Ansatz sei gefährlich, denn er überlasse dicke Menschen sich selbst. Anderen ist “Health at Every Size”, so wie es heute von vielen verstanden wird, nicht radikal genug.

Amanda Sainsbury und Phillipa Hay forderten 2014 ein dringendes Umdenken des “Health at Every Size”-Konzepts. In Anlehnung an den Satz ihrer Großmutter, dass Fratzen stehen bleiben würden, wenn man sie zu lange zieht, formuliert Sainsbury: “Ernähre dich nicht ungesund oder lass dich nicht gehen, denn wenn der Wind dreht, bleibst du vielleicht für immer übergewichtig.”

Die beiden Autorinnen betonen, dass es selbstverständlich Menschen gebe, die übergewichtig oder auch adipös und metabolisch gesund seien. Allerdings sei der Anteil gesunder übergewichtiger Menschen kleiner als der ungesunder übergewichtiger Menschen. Bei den gesunden übergewichtigen Menschen sei es nur eine Frage der Zeit, bis viele die mechanischen Folgen ihres erhöhten Gewichts zu spüren bekommen würden.

Sainsbury und Hay argumentieren, dass es nur ein begrenztes Fenster gebe, in dem Übergewicht jenseits bariatrischer Operationen erfolgreich behandelbar sei. Tierversuche zeigten erste Evidenz, dass nach einer Zeit die Mechanismen im Gehirn bezüglich Hunger, Appetit und Sättigung so verändert seien, dass sie unumkehrbar seien.

Gemma Gibson gehört zu der zweiten Kategorie von Kritiker*innen. Sie sagt, dass die Verbreitung der Body Positivity Bewegung und des “Health at Every Size”-Ansatzes im Mainstream dazu führe, dass die Öffentlichkeit “Good Fattys” zunehmend über “Bad Fattys” stelle.

Ein*e “Good Fatty” meint dabei eine Person, die dick ist und an ihrer Gesundheit arbeiten möchte. Ein*e “Bad Fatty” eine Person, die das nicht kann oder will. “Good Fattys” würden dafür von der Gesellschaft mit Anerkennung belohnt, “Bad Fattys” mit Ausgrenzung bestraft.

Gibsons Kritik zeichnet die Geschichte von “Health at Every Size” nach, deren Referenzen bis in die USA der 1970er-Jahre gehen. Im Jahr 2010 schützte die Association for Size Diversity and Health HAES als Marke, um es vor einer Kommerzialisierung durch Diätanbieter*innen zu bewahren. Gibson kritisiert diese Aneignung, da so die Deutungshoheit von Fettaktivist*innen auf Gesundheitsarbeitende übergegangen sei.

Schließlich argumentiert Gibson, HAES habe zur Stärkung von drei Pflichten für dicke Menschen geführt, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden:

  1. dem Wunsch nach einer guten Gesundheit,
  2. einer “gesunden” Ernährung und
  3. dem Willen und der Fähigkeit sich zu bewegen

Wer diesen Pflichten nicht nachkomme, habe den gesellschaftlichen Moraltest nicht bestanden. Denn sobald Behinderung wählbar werde, würde sie nicht mehr als marginalisiert anerkannt. Doch die Gesellschaft sei verpflichtet, auch die Rechte dicker Menschen zu stärken, die nicht gesund sein können oder wollen.

Praxistauglich

“Wie würdest du leben, wenn es völlig ok wäre, dick zu sein?”

Um herauszufinden, wie HAES heute in der Praxis umgesetzt wird, haben wir mit zwei Personen aus der Upstream-Community gesprochen. Die Beraterinnen Dorothée Jankuhn und Natalie Aller bieten dicken Menschen Unterstützung dabei an, einen Weg mit ihrem Körper zu finden. Dabei beschreiben beide “Health at Every Size” als Prinzip, das immer dabei ist.

Für sie besteht der HAES-Ansatz im Wesentlichen aus drei Komponenten:

  1. Körperakzeptanz,
  2. Intuitivem Essen und
  3. Bewegung, die Spaß macht.

Doch was steckt hinter den Komponenten von “Health at Every Size”?

Körperakzeptanz heißt für Dorothée Jankuhn, dass sie 60 Prozent ihrer Zeit damit verbringt, Menschen zu sagen, dass sie sich nicht hassen müssen. Das sei gar nicht so leicht, denn Gewichtsdiskriminierung ist die einzige Form von Diskriminierung, bei der Menschen denken, sie hätten es verdient, sagt Jankuhn. Damit dass nicht so bleibe, stelle sie sich selbst und ihren Klient*innen immer wieder eine Frage: “Wie würdest du leben, wenn es völlig ok wäre, dick zu sein?”

“Wenn man intuitives Essen herunterbricht, heißt das zunächst einmal, dass alle verinnerlichten Regeln weggeworfen werden müssen”, beschreibt Dorothée Jankuhn ihr Verständnis. Stattdessen würden die tatsächlichen Bedürfnisse in den Vordergrund rücken.

Bewegung, die Spaß macht, heiße in erster Linie, den natürlichen Bewegungsdrang, den jeder Mensch habe, wieder zu entdecken, sagt Natalie Aller. Wenn Klient*innen bereits mit drei Jahren auf ihre erste Abnehmkur geschickt wurden, sei das ein langwieriger Prozess.

Beide Beraterinnen sind auch auf Instagram aktiv und klären über Mythen und Irrtümer rund um Körpergewicht auf. Ihre Arbeit ist gleichzeitig Aktivismus, der oft auch Widerspruch erfährt.

Als Natalie Aller auf Instagram anfängt Körperakzeptanz zu fördern, wird sie auch von Kolleg*innen angegriffen. Diese behaupten, sie stelle “einen Freifahrtschein für ungesundes Essen” aus und propagiere Übergewicht. Da kann Aller nur den Kopf schütteln. Nicht ohne Grund bietet sie eine Fortbildung für Ernährungsfachkräfte an, die auch den “Health at Every Size”-Ansatz thematisiert. “Die Entstigmatisierung ist noch ein langer Weg”, sagt sie – auch bei ihren Kolleg*innen.

Interview

Portrait von Friedrich Schorb. Links davon der Text: Interview. “Gesundheit wird zum Siegel für Tugendhaftigkeit” Friedrich Schorb, Universität Bremen

Friedrich Schorb gilt als einer der Fettforscher in Deutschland. Bereits 2009 veröffentlichte er mit “Dick, doof und arm? Die große Lüge vom Übergewicht und wer von ihr profitiert” eine kritische Betrachtung des öffentlichen Diskurses über Übergewicht und soziale Schlechterstellung. Ich habe mit ihm über die Rolle von Medizin und Public Health für das Klima der Fettfeindlichkeit gesprochen und was unser Bild von Gesundheit damit zu tun hat.

Upstream: Herr Schorb, wie trägt die Medizin zu Fettfeindlichkeit bei?

Friedrich Schorb: In der Medizin herrscht mittlerweile Konsens darüber, dass maßgeblich die Gene und soziale Lebensumstände für hohes Gewicht verantwortlich sind. Trotzdem werden gesundheitliche Risiken betont, weil man natürlich auch für seine Produkte und Angebote werben möchte. Das soll nicht nach einer Verschwörung klingen, aber die Medizin ist eine mächtige Interessengruppe. In der Bevölkerung bleibt ein verzerrter Eindruck über die gesundheitlichen Gefahren, die unmittelbar aus dem Gewicht resultieren würden.

Wie ist die Lage in der Public Health?

Schorb: Public Health betrachtet Gewicht oft zu isoliert. Man sieht das beispielsweise bei Programmen, die sich an Kinder richten. Dort wird gesagt: “Esst mehr Obst und Gemüse. Lasst die Burger, die Pommes und das Eis weg. Dann werdet ihr rank und schlank.” Nur stimmt das einfach nicht. Es gibt genügend schlanke Kinder, die regelmäßig Süßigkeiten essen. Bei den Kindern bleibt das anders hängen. Sie schauen dann die etwas dickeren Spielkamerad*innen an und sagen: “Ich weiß, warum du so dick bist. Du isst zu viel.”

Inwiefern benutzt Public Health dicke Menschen als Abschreckungsbeispiel für ein vermeintlich gesundes Leben?

Schorb: Die Taktik wird in vielen Bereichen verwendet und nennt sich Furchtappell. Man sagt: “Wir schrecken die Leute ab, dann werden sie sich bewusst, was sie machen und ändern ihr Verhalten.” Das funktioniert nicht. Gerade aus dem Bereich Körpergewicht gibt es einige Studien dazu, dass Menschen, die man sozial unter Druck setzt, überhaupt nicht mehr ansprechbar sind für Gesundheitsprogramme. Das kennen wir auch aus anderen Gesundheitsdebatten. Menschen, die man unter Druck setzt, denen man Angst einjagt, die man damit ja auch stigmatisiert und bloß stellt, die ziehen sich eher zurück.

Was wäre besser?

Schorb: Ein sinnvollerer Ansatz wäre “Health at Every Size”: Wir machen Gesundheitsförderung, aber wir machen das holistisch für alle. Wir arbeiten mit einem positiven Angebot, mit Bewegung und Ernährung ohne Angst vor Kalorien. Nicht schlank sein ist das Erfolgskriterium, sondern Wohlbefinden steht im Fokus.

Sie gehen ja an manchen Stellen noch einen Schritt weiter, denn sie kritisieren die Ideologie des “Healthism”. Was steckt dahinter?

Schorb: Der Begriff Healthism kommt aus der US-amerikanischen Debatte, wo er sich in den 1980er-Jahren etabliert hat. Das Konzept beschreibt einen Paradigmenwechsel. Gesundheit ist nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern wird zum Ausweis von moralischer und erfolgreicher Lebensführung. Viele Bereiche, die bisher für ein gesellschaftlich erfolgreiches und auch moralisch wertvolles Leben standen, zum Beispiel eine Sexualität, die der Norm entsprochen hat, ein geordnetes Familienleben oder der Gang in die Kirche, werden zunehmend vom Paradigma der Gesundheit abgelöst, sodass heute Moral zunehmend über Gesundheit ausgetragen wird.

Was ist damit gemeint?

Schorb: Gesundheit wird zu einer Art Siegel für Tugendhaftigkeit. Wenn jemand nicht gesund ist, unterstellt man, dass die Person selbst schuld sei, weil er*sie sich nicht geschützt hat. Das gilt vor allem bei chronischen Krankheiten, aber auch bei Infektionskrankheiten wie Corona lässt sich das beobachten. Gleichzeitig ist damit auch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens gemeint, durch die Gesundheit zunehmend zur Investition wird, die man tätigen muss. Wenn Gesundheit zum symbolischen Erfolgsausweis wird, passt hohes Körpergewicht da nicht rein. Selbst wenn es womöglich nicht mit gesundheitlichen Problemen einhergeht, wird es mit Disziplinlosigkeit, als ungesund, als unattraktiv und nicht erfolgreich assoziiert.

Kann es nicht eigentlich nur etwas Gutes sein, gesund sein zu wollen?

Schorb: Häufig heißt es: “Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.” Diese Herangehensweise ist problematisch, weil sie normativ ist und Menschen mit Behinderungen ausschließt. Wir müssen den Gedanken verabschieden, dass alle im normativen Sinne gesund sein können oder wollen. Es geht eher darum, aus den Mitteln, die man hat, das Beste zu machen. Wenn du eine genetische Veranlagung zu einem hohen Körpergewicht hast, ist es nicht sinnvoll, dagegen anzukämpfen.

Wie kann es gelingen Menschen, die nicht gesund sein können oder wollen, nicht auszuschließen?

Schorb: Es darf nicht heißen: “Du musst nicht abnehmen, aber gesundheitsbewusst leben musst du schon.” Von anderen Menschen verlangt man das ja auch nicht. Gesundheit ist eine individuelle Entscheidung. Was man machen kann, sind Angebote. Aber auch die müssen Menschen nicht annehmen. Wir schaffen viele Angebote, die Menschen nicht annehmen. Wir sagen den Leuten, sie sollen wählen gehen und beschämen sie nicht, wenn sie es nicht tun. Genauso wie wir Leute auch nicht unter Druck setzen, in ihrer Freizeit Müll zu sammeln statt Fernzusehen. Ich wünsche mir mehr Bescheidenheit in den Gesundheitswissenschaften. Das ist zum Teil natürlich die gesellschaftliche Stellung, die einem zugewiesen wird. Aber man nimmt sich da auch manchmal zu wichtig. Gesundheit ist nicht das einzige im Leben von Menschen. Das hat man zu respektieren.

>>>Weiterlesen: Im ungekürzten Interview auf unserer Website erfährst du von Friedrich Schorb, warum die Medizin oft auf Gerätemedizin und Pharmazeutika fokussiert ist, wie sich unsere Gesundheitsnorm gewandelt hat und was hinter dem Konzept der Gratifikationskrise steckt.

Aktuelles

Was du sonst noch wissen musst

  • Der Oberste Gerichtshof der USA hat das grundsätzliche Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt. Damit ist es nicht mehr in der Verfassung verankert, sondern den Bundesstaaten überlassen – und die verbieten Abtreibungen, einer nach dem anderen. Welche Staaten das sind, welche Staaten Rechte Schwangerer schützen und welche Zukunft die USA erwarten, fasst Annika Brockschmidt für Volksverpetzer zusammen. Der Überblick ist eine dringende Leseempfehlung!
  • Während in den USA immer mehr transfeindliche Beschlüsse fallen, lässt in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz auf sich warten. Auch hier wird die Stimmung gegen trans Personen immer lauter. Oft verstecken sich die Angriffe hinter vermeintlichem Kinderschutz. Warum das gefährlich ist, erklärt Jeja Klein.
  • Das Team von MedWatch leistet richtig wichtige Aufklärung über Gesundheit, Arzneimittel, Therapien und falsche Heilsversprechen. Seit Kurzem gibt es sie auch auf Instagram. Schau mal vorbei!
  • “Das ist eine Suchtmaschine und nichts anderes”, sagt Thomas über Sportwetten. Er war selbst 13 Jahre lang süchtig. Jörg Winterbauer hat ihn für das Y-Kollektiv begleitet und recherchiert, wie groß das Suchtpotenzial von Tipico, Tipbet und anderen Wettbüros ist.
  • Vor einiger Zeit haben obdachlose Menschen in Hannover ein Haus besetzt. Die Journalisten Michael Trammer und Raphael Knipping haben sie begleitet – und einen Kurzfilm produziert. Der Film wird in diesem Sommer an verschiedenen Orten in Deutschland gezeigt. Den Trailer kannst du dir auf Twitter ansehen. Wenn du möchtest, dass der Film auch in deiner Stadt gezeigt wird, findest du hier Infos.

Ausblick

Seit etwa einem Monat sind wir nun auf Instagram unterwegs. Neben euren Zuschriften per Mail, von denen uns jede einzelne freut, sind wir begeistert, dass es auf Instagram erstmals einen Raum gibt, an dem ihr euch miteinander austauschen könnt.

In unserer letzten Ausgabe haben wir mit Natalie Rosenke über Gewichtsdiskriminierung gesprochen. Ein Aspekt, der euch noch mehr interessiert hat, ist der angesprochene “Weight Pay Gap”. Ihr habt uns nach Belegen dafür gefragt und wir möchten gerne unsere Recherchen dazu teilen, die wir in einem Glossar-Beitrag festgehalten haben.

Unsere nächste Ausgabe ist die letzte aus unserer Reihe zur Ungleichheit von (dicken und dünnen) Körpern. Wenn es einen Aspekt gibt, der darin deiner Meinung nach dringend auftauchen sollte, melde dich gerne bei uns per Mail, auf Twitter oder Instagram.

Anhang

Transparenz

Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum stellen wir am Ende jeder Ausgabe unsere Quellen vollständig dar. Auf der Website ist unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.

Quellen

  • Drake, Teresa/Ogletree, Roberta 2018. Impact of Health at Every Size Curriculum Module on Weight Attitudes of College Students. in: Journal of Nutrition Education and Behavior. Vol. 50, Issue 7, S.14. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jneb.2018.04.043
  • Gemma Gibson (2022) Health(ism) at every size: The duties of the “good fatty”, Fat Studies, 11:1, 22-35, DOI: 10.1080/21604851.2021.1906526
  • Mann, T., Tomiyama, A. J., Westling, E., Lew, A.-M., Samuels, B., & Chatman, J. (2007). Medicare's search for effective obesity treatments: Diets are not the answer. American Psychologist, 62(3), 220–233. https://doi.org/10.1037/0003-066X.62.3.220
  • Penney, Tarra L./Kirk, Sara F. L. 2015. The Health at Every Size Paradigm and Obesity: Missing Empirical Evidence May Help Push the Reframing Obesity Debate Forward. in: Am J Public Health. 2015 May; 105(5): e38–e42. Published online 2015 May. doi: 10.2105/AJPH.2015.302552
  • Sainsbury, A., Hay, P. Erratum to: Call for an urgent rethink of the 'health at every size’ concept. J Eat Disord 2, 13 (2014). https://doi.org/10.1186/2050-2974-2-13