Gesundheitszentrum in Dresden-Gorbitz: "Wir kommen nicht als Helfer, wir bauen eine Community auf"
In Dresden-Gorbitz gibt es seit Sommer 2024 ein neues Gesundheitszentrum. Warum das Gesundheitskollektiv dort stark auf Gemeinschaft setzt, erklären zwei Mitglieder im Interview.

Im August hat das Gesundheitskollektiv Dresden, kurz GeKo, sein Gesundheitszentrum im Stadtteil Gorbitz eröffnet. Dort finden nun neben offenen Sprechstunden für Sozial- und Gesundheitsberatung Angebote wie Erste-Hilfe-Kurse und Bewegung für Senior*innen statt. Gorbitz hat in Dresden die höchste Armutsquote. Die AfD hatte dort bei der Landtagswahl eines ihrer höchsten Ergebnisse.
Wie baut man ein starkes Miteinander an so einem Ort auf? Katja und Anja vom GeKo erklären im Interview, weshalb es wichtig ist, Menschen in Kontakt zu bringen – auch für die Gesundheit.
Upstream: Weshalb habt ihr den Stadtteil Gorbitz für euer Gesundheitszentrum in Dresden gewählt?
Anja: Gorbitz ist groß, es gibt starke Kontraste. Neben dem hohen Anteil armutsgefährdeter Haushalte gibt es Gegenden mit Einfamilienhäusern. Außerdem leben hier, platt gesagt, viele Menschen mit Migrationserfahrung neben vielen Menschen mit rassistischen Einstellungen.
Auf einen Blick: Dresden-Gorbitz
Gorbitz liegt im Südwesten von Dresden. Seit den 1980er-Jahren ist der Stadtteil geprägt von Plattenbauten. Nachdem 20 Jahre später, im Jahr 2002, nach Angaben der Stadt jede vierte Wohnung dort leer stand, sind zuletzt viele Häuser saniert worden. Aktuell leben dort rund 21.000 Menschen. Laut der Kommunalen Bürgerumfrage 2022 hat Gorbitz mit 31 Prozent den höchsten Anteil armutsgefährdeter Menschen in Dresden. Der Anteil wohlhabender Menschen ist demnach mit sieben Prozent niedriger als anderswo in der Stadt.

Wie setzt eure Arbeit an den sozialen Determinanten der Gesundheit an?
Anja: Wir setzen auf Verhältnisprävention statt Verhaltensprävention. Individuelles Verhalten – ernähr dich gesund, mach Sport –, lässt Faktoren wie Armut außer Acht. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Armut zu schlechterer Gesundheit führt, etwa, weil Angebote für arme Menschen schlechter zugänglich sind, weil arme Menschen diskriminiert und stigmatisiert werden. Armut führt zu Stress, der krank machen kann. Menschen, die arm sind, haben oft eine schlechtere Wohnsituation. Verhaltensprävention ist dann viel schwieriger.
Katja: Dabei ist es uns wichtig, Einfache Sprache zu benutzen, auch auf unserer Website. Wenn wir über soziale Determinanten sprechen, verstehen nicht alle Leute diesen Begriff oder trauen sich nicht, zu fragen. Wir wollen diese Hürde abbauen.
Mehr über das GeKo Dresden
Das Gesundheitskollektiv, kurz GeKo Dresden, gibt es seit 2018. Von den rund 20 aktiven Mitgliedern haben zwei eine Stelle, die durch Förderung bezahlt wird: Eine für Beratung und eine für Projektkoordination und Gemeinwesenarbeit, in der Katja arbeitet. Die anderen Mitglieder sind ehrenamtlich engagiert, wie Anja, die Klinische Psychologie und Psychotherapie im Master studiert. Das GeKo ist Teil des bundesweiten Poliklinik-Syndikats und in Dresden-Gorbitz mit zahlreichen Organisationen vernetzt, zum Beispiel die Straßensozialarbeit “Safe DD”, Migrations- und Sozialberatung oder “MEDEA International”.
Wie hängen eure Angebote – etwa die Kochgruppe oder Erste-Hilfe-Kurse – mit sozialen Determinanten zusammen?
Katja: Es gibt in Gorbitz viele Menschen, die alleine wohnen. Beim Kochen kommt man zusammen, kommt ins Gespräch und fühlt sich glücklicher.
Anja: Gleichzeitig geht es um gesunde Ernährung, auch wenn das nicht im Vordergrund steht. Angebote wie den Erste-Hilfe-Kurs verstehe ich als Selbstermächtigung: Man lernt etwas und fühlt sich empowert. Ein weiterer Punkt ist Niedrigschwelligkeit: Alle Angebote sind kostenlos. Die Beratung ist offen, man kann ohne Termin kommen. Wir wollen ein Ort sein, an dem Menschen sich miteinander austauschen.
Katja: Die Idee vom Gesundheitszentrum ist, dass Leute es mitgestalten. Wir kommen nicht als Helfer*innen, wir bauen zusammen eine Community auf.
All das bringt nicht jede*r direkt in Verbindung mit Gesundheit.
Katja: Die Frage ist: Wie definierst du Gesundheit?
Anja: Wir sehen Gesundheit nicht nur als medizinischen Begriff, sondern aus einer gesellschaftlichen Perspektive. Wenn wir die Verhältnisse berücksichtigen, die auf Gesundheit einwirken, wird der Begriff sofort breiter.
Katja: Wir wollen einen Raum schaffen, wo Leute ins Gespräch kommen und Zeit haben, zu überlegen: Wie geht es mir? Was fehlt? Im normalen Gesundheitssystem gehe ich zum Arzt, wenn mein Kopf weh tut. Wir klären Leute auf, bevor ihr Kopf weh tut, und geben ihnen Möglichkeiten, etwas für sich zu tun.
Wie kann man euer Gesundheitszentrum mitgestalten?
Katja: Ein Nachbar möchte gerne eine Reparaturwerkstatt anbieten. Er war schon bei uns, um darüber zu sprechen.
Anja: Eine Kollegin, die Beratung macht, hat erzählt, wie mal mehrere Menschen im Wartezimmer mitbekommen haben, dass eine Person ein Problem mit ihrer Wohnung hat. Dann haben sie festgestellt, dass alle die gleiche Muttersprache haben – und ein ähnliches Wohnungsproblem. Wir stellen den Raum, um zusammenzukommen und sich zu organisieren.

Ist eure Arbeit politisch?
Anja: Ja. Wie wir Gesundheit definieren und wie das Gesundheitssystem organisiert ist, ist eine politische Frage. Unser Konzept knüpft an Dinge an, die im Gesundheitssystem zu wenig berücksichtigt werden. Als lokale Gruppe stellen wir aktuell keine politischen Forderungen an die Behörden. Aber wir sind im Poliklinik-Syndikat organisiert, das als Dachverband politisch agiert.
Katja: Wir verstehen uns zwar selbst als linke Gruppe, aber zu uns kommen auch Leute, die nicht links sind. In einem Angebot gab es mal Streit, weil jemand sich fremdenfeindlich geäußert hat. Die Person haben wir nicht weggeschickt. Sondern wir kommen dann ins Gespräch, setzen aber auch die Grenze, dass sowas nicht geht.
Anja: Das ist ein Spagat. Wir wollen hier einen Raum für alle. Wenn offen menschenfeindliche Dinge gesagt werden, geht das nicht. Wir müssen die Balance finden, gerade in dem aktuellen politischen Klima.
Bei der Landtagswahl hat fast jede*r Dritte in Sachsen für die AfD gestimmt, hier im Viertel noch mehr. Was bedeutet das für eure Arbeit?
Katja: Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier viele Leute gibt, die gar nicht wählen dürfen, weil sie keinen deutschen Pass haben. Nach der Wahl haben viele Akteur*innen Angst, dass Gelder gestrichen werden. Das hieße, dass vulnerable Gruppen noch vulnerabler werden, wenn für sie kein Geld, keine Unterstützung mehr da ist.
Anja: Der Bedarf an Unterstützung wird nicht nachlassen. Wenn Angebote weniger zugänglich werden, verschärfen sich Verhältnisse, die ohnehin problematisch sind. Sollten Sozialleistungen gekürzt werden, wird es Menschen, denen es jetzt schon nicht gut geht, noch schlechter gehen. Das macht mir Sorgen. Außerdem hören wir, dass Rassismus zugenommen hat, sowohl auf der Straße als auch institutionell, bei Behörden oder in Arztpraxen.
Katja: Ich fände es schlimm, wenn noch mehr Gelder gestrichen werden würden. Allerdings komme ich aus Belarus, wo Vereine, die sich für andere Menschen einsetzen, kein Geld vom Staat bekommen, sondern aus anderen Quellen. Das Wichtigste ist, dass wir Menschen zusammenbringen.
Wie wappnet ihr euch für so ein "Horrorszenario", dass Gelder gestrichen werden und rechte Politik stärker wird?
Anja: Das ist schon Teil der Realität. Seit Jahren wird die Situation immer schlimmer. Warum sprechen wir nicht jetzt schon von einem "Horrorszenario"? Aber viele Akteur*innen unterstützen sich gegenseitig. Gleichzeitig sind viele damit beschäftigt, selbst über die Runden zu kommen. Wie viele Kapazitäten bleiben da, um sich zu supporten?
Bei euch gibt es zwei feste Stellen, der Rest läuft ehrenamtlich. Wie gelingt das?
Anja: Ich bin stolz auf die Gruppe und was wir alles geschafft haben. Gleichzeitig wollen wir natürlich mehr Menschen für die Arbeit hier entlohnen und mehr Menschen aus dem Stadtteil mit einbinden.
Katja: Da kommen wir wieder zum Empowerment. Ehrenamtliche Arbeit funktioniert nur, wenn Menschen versorgt sind, sie Geld haben und die Basics gedeckt sind. Wir sind ein Kollektiv, viele von uns haben Jobs und dadurch Ressourcen. Manchmal denke ich mir schon: Oh mein Gott, wir sind verrückt, wie schaffen wir das? (lacht) Aber wir sind Idealist*innen, die diese Idee haben, diese Vision von einem Stadtteil-Gesundheitszentrum.