Der sozialmedizinische Jahresrückblick 2022
Wir schauen zurück: Welche Ereignisse aus dem Jahr 2022 haben die Gesundheit von Menschen auf der ganzen Welt beeinflusst? Von Januar bis Dezember, von Armutsbericht bis zur Deutschen Bahn. Unser sozialmedizinischer Jahresrückblick.
Takeaways
Das erwartet dich in dieser Ausgabe
- Jahresrückblick: Diese Ereignisse und Entscheidungen aus dem Jahr 2022 beeinflussen die Gesundheit von Menschen auf der ganzen Welt
- Bunter Teller: Alle Jahre wieder mit Lese-, Hör- und Filmempfehlungen für dich
- Ausblick: So geht es im kommenden Jahr mit Upstream weiter
Hallo!
Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns aus dem Jahr 2022. Und wir verabschieden uns von der Plattform Revue, aber dazu später mehr. Erstmal ist es Zeit, zurückzublicken, auf all das, was aus sozialmedizinischer Perspektive in diesem Jahr wichtig gewesen ist: Streiks in Krankenhäusern, Naturkatastrophen und politische Entscheidungen, die uns 2023 weiter begleiten werden.
Während wir bei einigen Monaten erstmal ganz schön grübeln mussten, was da eigentlich nochmal los gewesen ist, sind wir mittlerweile ziemlich beeindruckt von diesem Jahr. Und, ehrlich gesagt, bereit für eine Weihnachtspause sind wir auch.
Wir wünschen dir eine schöne Zeit und hoffen, du kannst es dir in den letzten Tagen des Jahres gemütlich machen. Für Lesestoff ist mit dieser Ausgabe auf jeden Fall gesorgt: Scroll dich von Januar bis Dezember, stöbere durch die verlinkten Details oder such dir eine der Empfehlungen vom Bunten Teller aus.
Alles Liebe und bis nächstes Jahr
Sören und Maren
P.S.: Dies ist die letzte Ausgabe unserer Reihe über Sucht. Bisher haben wir recherchiert, wie es um die Suchthilfe auf dem Land steht, uns Glücksspielsucht genauer angeschaut und uns gefragt, ob Drogen gut tun können. Wenn du uns noch nicht abonniert hast, kannst du das hier nachholen](). Wir freuen uns, wenn du Upstream weiterempfiehlst!
2022 Wrapped
Das waren die sozialmedizinischen Pfeiler in 2022
Das Jahr war hitzig, beengend, knallig und frei, geprägt von Debatten – und zwischendrin immer mal wieder hoffnungsvoll. Weil man das wahrscheinlich über viele Jahre sagen könnte, schauen wir zurück auf die sozialmedizinischen Eckpunkte des Jahres 2022:
Zum Jahreswechsel 2021/22 haben wir auf zwei drängende Themen zurückgeblickt: Corona und die Klimakrise. Wir haben mit dem Medizinsoziologen und Sozialepidemiologen Nico Dragano darüber gesprochen, warum die Pandemie eine Syndemie ist. Die Medizinsoziologin Anja Knöchelmann hat im Interview erklärt, was gute Wissenschaftskommunikation leisten könnte. Und im Klimabericht des Lancet haben wir Antworten auf die Frage gefunden, wie Ungleichheit die Folgen des Klimawandels verschärft.
Hessen soll ein Landesamt für Gesundheit bekommen. Das teilte das hessische Sozialministerium Anfang des Jahres mit. Das Amt solle ab 2023 eine Schnittstelle zwischen den Gesundheitsämtern und dem Ministerium sein. Grund sei, dass das Land seinen Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken wolle – auch nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie. Dass ein solches Landesamt keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt diese Übersicht des Robert Koch-Instituts der Anlaufstellen und Strukturen der Bundesländer.
Am 24. Februar begann der russische Angriff auf die Ukraine. Seit Kriegsbeginn berichtet die Tagesschau im Liveblog von den Ereignissen des Krieges. Zuletzt gab es kleinere Rückgewinne von Territorium durch die Ukraine. Russland greift zunehmend zivile Infrastruktur, wie die Strom- und Wasserversorgung, an. In der beeindruckenden Reportage “Der letzte Zeuge”, die im August im Spiegel erschien und den Reporter*innenpreis gewonnen hat, berichtet Alexandra Rojkov vom 17-jährigen Kolja, der seine Eltern und beide Schwestern verlor. Ein Infokanal, den wir dir empfehlen: Der Krautreporter-Newsletter Ukraine verstehen von Isolde Ruhdorfer.
Seit dem 25. Februar können Ärzt*innen in Deutschland Paxlovid für Corona-Risikopatient*innen verschreiben. Während das Medikament kurzzeitig als Hoffnungsträger in der Pandemie galt, erwies es sich schnell als Ladenhüter – da hatte der Bund allerdings schon eine Millionen Packungen davon bestellt. Damit es häufiger vergeben wird, dürfen Arztpraxen es seit August selbst an Patient*innen ausgeben, ohne “Umweg” über Apotheken. Das wiederum sorgte bei Apotheker*innen für Unmut. Maren hat den Konflikt im MDR-Corona-Daten-Update erklärt.
Ende Februar haben wir unseren ersten Newsletter dieses Jahres veröffentlicht: Suizide sind vermeidbare Todesfälle. Die Ausgabe war der Start einer Reihe zum Thema: Danach haben wir uns mit Mental Health Literacy beschäftigt und mit der Frage, was Suizide verhindert.
Eine weitere Leseempfehlung aus dem Februar: Das Interview mit dem Journalisten und Autoren Olivier David darüber, wie Armut und psychische Erkrankungen zusammenhängen.
Am 16. März ist die Impfpflicht für Mitarbeiter*innen in medizinischen und Pflegeeinrichtungen in Kraft getreten. Dadurch sollten vulnerable Menschen, die in den Einrichtungen leben, betreut oder behandelt werden, besser geschützt werden. Wirklich durchgesetzt worden ist die Pflicht aber kaum. Die Stadt Jena hat im November hunderte Bußgeldverfahren gegen ungeimpftes Personal wieder eingestellt, nachdem es Protest dagegen gegeben hatte. Ende des Jahres läuft die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder aus.
Weißt du noch, was du am “Freedom Day” gemacht hast? Ehrlich gesagt: Wir nicht. Am 20. März sind in Deutschland viele Corona-Regeln gelockert worden. Allerdings war Corona zu diesem Zeitpunkt längst nicht vorbei. Es folgte zwar ein entspannter(er) Sommer, aber auch eine heftige Sommerwelle.
Vom 22. bis zum 24. März fand der 27. Kongress “Armut und Gesundheit” statt. Der Kongress widmet sich seit 1995 verschiedenen Themen rund um soziale Benachteiligung und Gesundheit. Auf der Website des Kongresses gibt es einen Überblick über die diesjährigen drei Veranstaltungstage unter dem Motto “Was jetzt zählt”. Die Beiträge kannst du im Kongress-Archiv nachlesen.
Bremen in New York: Die Stadt, die in Deutschland in vielen Bereichen die schlechtesten Zahlen schreibt, hat im April die bundesweit höchste Impfquote erreicht. Sogar die New York Times berichtete davon. Wie Bremen in der Corona-Pandemie sozial benachteiligte Menschen erreicht hat, darüber hatten wir schon ein Jahr zuvor mit Bülent Aksakal, Gesundheitsfachkraft im Stadtteil Gröpelingen, gesprochen.
Seit Ende April gibt es in Greifswald das Helmholtz-Institut für One Health. Wissenschaftler*innen erforschen dort mit einem ganzheitlichen Ansatz die Gesundheit von Menschen, Tieren und der Umwelt. Was seitdem passiert ist, kannst du auf Twitter nachlesen.
Im Mai ist unsere zweite Newsletterreihe in diesem Jahr an den Start gegangen. Vier Ausgaben drehten sich um die Frage, wie unterschiedlich wir und unsere Gesundheit behandelt werden, je nachdem, wie viel wir wiegen. Zum Auftakt haben wir hinterfragt, dass die WHO Übergewicht als “Epidemie” bezeichnet. Und: Seit Mai findest du uns auch auf Instagram.
Anfang Mai sind zahlreiche Mitarbeitende der Unikliniken in Nordrhein-Westfalen in den Streik getreten. Unter ihnen waren besonders viele Pflegekräfte. Sie forderten bessere Bezahlung und Entlastung im Arbeitsalltag – vor allem durch mehr Personal und bessere Schichtbesetzung. Beim WDR schildert ein Kölner Intensivpfleger die schlechten Bedingungen an den Kliniken und seine Enttäuschung darüber, dass sich seit der Corona-Pandemie kaum etwas geändert habe. Der Streik dauerte bis Ende Juli.
Kurz nach den ersten Ausbrüchen von den sogenannten Affenpocken in Europa, ist am 20. Mai der erste Fall in Deutschland festgestellt worden. Diejenigen, die daran erkrankten, wurden zum Teil stigmatisiert – auch, weil die Krankheit nach Angaben des RKI bislang vorrangig Männer getroffen hat und sich über sexuellen Kontakt ausbreitet. Ein Betroffener, der sich gegen das Stigma gewehrt hat, ist Basti: Er hat beim Funk-Kanal “reporter” seine Geschichte erzählt.
Unter dem Hashtag #IchBinArmutsBetroffen haben Menschen im Mai begonnen, aus ihrem Leben mit Armut zu berichten. Aus dem Hashtag hat sich eine Initiative entwickelt, noch Monate später hat er Aufmerksamkeit auf die Situation armer Menschen gelenkt.
Seit Anfang Juni haben Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland Anspruch auf Grundsicherung. Sie bekommen, falls nötig, die gleichen Leistungen wie Hartz IV-Empfänger*innen und sind krankenversichert. Das Gute: Die Menschen sind abgesichert. Kritik wurde allerdings laut, weil Geflüchtete aus anderen Ländern solche Chancen nicht bekommen. Dafür, dass die Leistungen missbraucht würden, wie unter anderem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz unterstellte, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.
Am 24. Juni hat das Oberste Gericht in den USA das Grundsatzurteil “Roe v. Wade” gekippt. Seitdem regelt nicht mehr der Staat das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, sondern jeder Bundesstaat kann eigene Gesetze erlassen. Einige der Bundesstaaten hatten bereits restriktive Gesetzentwürfe in der Schublade und haben Abtreibungen direkt im Anschluss deutlich erschwert oder gleich ganz verboten. Wie das die Gesundheit von Schwangeren gefährdet, Mediziner*innen in Konflikte bringt und welche politischen Folgen die Entscheidung hat, hörst du in diesem Deutschlandfunk-Feature von Nicole Markwald.
Am 24. Juni haben hunderte Geflüchtete versucht, die Grenze zwischen Marokko und Spanien in Melilla zu überqueren. Mindestens 23 Personen starben, zahlreiche wurden verletzt. Videos von Polizeigewalt tauchten auf. Es soll zu illegalen Pushbacks gekommen sein. Der Spiegel zeichnet gemeinsam mit Medienpartnern die Rolle der Sicherheitskräfte in Melilla nach.
Ende Juni erschien der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Er zeigte einen neuen Höchststand: Demnach leben in Deutschland mit 13,8 Millionen Menschen 16,6 Prozent der Bevölkerung in Armut. Das ist etwa jede*r Sechste.
An vielen Orten in Deutschland war es in diesem Sommer so heiß wie noch nie. Recherchen von Correctiv haben gezeigt, dass die Temperaturen bundesweit für rund neun Millionen Menschen lebensbedrohlich sein können – und dass kaum eine Stadt auf Hitze vorbereitet ist.
Schon im Juni begann in Pakistan der heftigste Monsunregen, der dort jemals beobachtet worden ist. In den darauffolgenden Wochen wurde nach Angaben der Regierung ein Drittel des Landes überflutet. Die Flut tötete demnach mehr als 1.500 Menschen und zerstörte mehr als eine Millionen Häuser. Der Katastrophenbehörde des Landes zufolge haben die Überschwemmungen mehr als 33 Millionen Menschen, also mehr als jede*n Siebte*n in Pakistan, getroffen. Nach der Flut drohten Seuchen. Hilfen sind in den darauffolgenden Wochen zwar angekommen, aber nur schleppend. Wie der Klimawandel zu dieser Katastrophe geführt hat, erfährst du in diesem Deutschlandfunk-Hintergrund von Peter Hornung.
Nach 79 Tagen endet am 20. Juli der Streik der Pflegekräfte an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis des langwierigen Pflegestreiks: Der neue Tarifvertrag “Entlastung”. Dieser sichert den Pflegenden mehr Personal auf den Stationen zu, andernfalls sollen sie mehr Geld oder freie Tage bekommen. Beschäftigte aus anderen Bereichen sollen ebenfalls durch mehr freie Tage entlastet werden. Anfang August hat die Tarifkommission der Gewerkschaft ver.di dem Vertrag zugestimmt.
Aktivist*innen haben am 20. August mit einer spektakulären Kletteraktion in Frankfurt am Main für barrierefreie Zugänge zu Bahnhöfen und Zügen demonstriert. Die Aktivist*innen fordern, selbstbestimmt mit dem Zug reisen zu können. Auch wegen überfüllter Zügen, durch die zeitweise Einführung des 9-Euro-Tickets, gab es immer wieder Kritik von Menschen mit Behinderung.
Bei dem Kampf gegen Malaria gibt es Hoffnung auf wirksame Impfstoffe. In einer Phase-Zwei-Studie konnte der in Oxford entwickelte Impfstoff “R21” die WHO-Zielmarke einer Wirksamkeit von über 75 Prozent knacken. Bislang wurde, laut SZ-Bericht, der Impfstoff an mehr als 400 Kindern in Burkina Faso getestet. Der nächste Studienabschnitt mit fast 5.000 Kindern solle im kommenden Jahr abgeschlossen werden. Welche weitere Hürden beim Kampf gegen Malaria warten, bespricht Benjamin Breitegger bei Deutschlandfunk.
So ungleich ist Sucht – mit diesem Thema ist unsere dritte Reihe in diesem Jahr an den Start gegangen. Danach haben wir uns mit Glücksspielsucht beschäftigt, mit Partydrogen und mit der Frage, wie Suchtmittel reguliert sein sollten.
Die Covid-19-Kommission des Lancet hat auf mehr als zwei Jahre Pandemie zurückgeblickt. In ihrem Artikel bezeichnet die Expert*innengruppe das Geschehen als “massives globales Versagen auf mehreren Ebenen”. Einer der Gründe: Die internationale Gemeinschaft sei alles andere als gemeinschaftlich gegen Corona vorgegangen, sondern unkoordiniert und ohne ausreichende Rücksichtnahme auf ärmere Länder und vulnerable Bevölkerungsgruppen.
Mitte September hat das Deutsche Krebsforschungszentrum den Alkoholatlas Deutschland 2022 veröffentlicht. Der Atlas zeigt, wie Alkoholkonsum und Probleme, die er verursacht, bundesweit verteilt sind.
Im September scheiterte die Abschiebung von Mohammad K. in Leipzig. Mohammads Asylantrag war 2019 abgelehnt worden, obwohl er seit sieben Jahren in Deutschland lebt, Deutsch spricht und nie straffällig geworden ist. Seine Arbeit in einer Bäckerei musste er aufgeben, weil die Ausländerbehörde ihm die Beschäftigungserlaubnis entzog. Forderungen, das von der Bundesregierung geplante Chancenaufenthaltsrecht vorzuziehen, wies das sächsische Innenministerium zurück. Die Zustände in den Ausländerbehörden waren auch zuletzt Thema bei einem Gespräch mit der Kommunalbeamtin Souad Lamroubal im ZDF Magazin Royale.
Am 5. Oktober sind an der Berliner Charité hunderte Ärzt*innen in den Streik getreten. Sie forderten mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen – insbesondere mit Blick auf die belastenden Arbeitszeiten. Ende November einigten sich der Marburger Bund und die Charité schließlich auf eine Verbesserung der Schichtpläne, eine Einmalzahlung und stufenweise steigende Gehälter. Neben den zwei Tagesspiegel-Artikeln, die wir dazu verlinkt haben, gibt dieser Beitrag von ZDFheute einen guten Einblick, weshalb die Ärzt*innen gestreikt haben.
Im Iran protestieren tausende Menschen gegen das Regime, nachdem die 22-jährige Jina Mahsa Amini von der “Sittenpolizei” aufgegriffen wurde und in Polizeigewahrsam starb. Das Regime geht brutal gegen die Demonstrant*innen vor. Im Oktober kam es zu einem Brand im Evin-Gefängnis und zuletzt hat das Regime erstmals einen Teilnehmer der Demonstrationen hinrichten lassen. Der Dokumentarfilm “Born in Evin”, bereits 2019 erschienen, gibt einen Einblick in die iranische Diaspora.
Im Oktober hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Eckpunktepapier für eine mögliche Cannabislegalisierung vorgestellt. Demnach sollen unter anderem der Erwerb und Besitz von maximal 20 bis 30 Gramm Cannabis zum Genuss straffrei sein, der private Anbau wird in begrenztem Umfang erlaubt und der Verkauf soll in lizenzierten Fachgeschäften erfolgen. Zunächst soll die EU-Kommission das Vorhaben rechtlich absegnen. Nadine Bader schätzt für die Tagesschau ein, wie realistisch die Pläne sind. Wir hatten in Ausgabe 19 mit dem Notfall- und Suchtmediziner Gernot Rücker über den Umgang unserer Gesellschaft mit Drogen gesprochen. Rücker sagte damals: “Wenn ich aber das Risikopotenzial von Cannabis mit dem von Alkohol vergleiche, müsste Alkohol schon längst verboten und Cannabis legal sein.”
Was würdest du tun, wenn dir jemand anbietet, dir 400 Millionen Euro zu schenken? So ähnlich muss sich die Gematik gefühlt haben, als der Chaos Computer Club ihr eine einfache Lösung für ein kostspieliges Hardware-Problem in Arztpraxen angeboten hat. Doch die Betreiberin der technischen Infrastruktur von Praxen hat abgelehnt. Worum es bei der eigentlich simplen Frage geht und welche Probleme dahinter stehen, erklärt Chris Köver bei Netzpolitik.org.
Anfang November hat der Bundestag das Triage-Gesetz beschlossen, nach dem Ärzt*innen künftig Patient*innen behandeln sollen, wenn die Kapazitäten dafür knapp sind. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte, es müsse klar sein, dass alte und behinderte Menschen nicht benachteiligt werden. Der Behindertenverband AbilityWatch kritisiert jedoch, dass das Gesetz dafür keine Sicherheit gebe und fordert eine breite öffentliche Debatte darüber.
Bei der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten gab es eine Einigung auf einen Fonds für besonders von Klimaschäden betroffene Länder. Damit wird eine langjährige Forderung des Globalen Südens umgesetzt. Bis zum nächsten Klimagipfel soll ein Konzept erarbeitet werden: Wer zahlt ein – und wie viel? Bei der Reduktion von Treibhausgasen gab es hingegen kaum Fortschritte. Wissenschaftler*innen halten das 1,5°C-Ziel zunehmend für nicht mehr erreichbar.
Arbeitslosengeld II heißt ab dem 1. Januar 2023 Bürgergeld. Darauf haben sich Bundestag und Bundesrat Ende November nach langen Verhandlungen geeinigt. Der Regelsatz, den Arbeitssuchende erhalten, wird um 53 Euro steigen. Auch für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gibt es mehr Geld. Die “Vertrauenszeit” – sechs Monate lang weniger Sanktionen –, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgesehen hatte, ist von der Union gekippt worden. Auch das Vermögen, das die Bezieher*innen von Bürgergeld haben dürfen, ist deutlich geringer als ursprünglich geplant. Sozialverbände kritisierten diesen Kompromiss als “halbherzig”.
Am letzten Novemberwochenende haben in mehreren chinesischen Großstädten Menschen gegen die restriktive Corona-Politik protestiert. Anlass war der Brand eines abgeriegelten Wohnhauses in Urumqi, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen. Die Polizei ist hart gegen viele Demonstrierenden vorgegangen, doch der Protest zeigte Wirkung: An vielen Orten Chinas sind die Corona-Maßnahmen einige Tage später gelockert worden. Die Zahl der Corona-Fälle und der Menschen, die an der Krankheit verstorben sind, ist im Dezember offenbar stark angestiegen.
Anfang Dezember meldeten viele Krankenhäuser in Deutschland ein riesiges Problem: Die Kinderkliniken und -stationen sind überfüllt. Laut einer Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hatte mehr als jede dritte Klinik kein freies Bett mehr auf der Normalstation. Bundesweit habe es Anfang Dezember nur noch 83 freie Intensivbetten für Kinder gegeben. Jede zweite Klinik habe berichtet, dass sie innerhalb der vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind habe abweisen müssen. Grund für die Überlastung ist den DIVI-Mediziner*innen zufolge einerseits die Infektionswelle mit dem RS-Virus, an dem vor allem kleinere Kinder schwer erkranken können. Andererseits sei der Personalmangel in den Krankenhäusern Schuld an der Lage: Der Umfrage zufolge konnten die großen Kinderkliniken mehr als ein Drittel der verfügbaren Betten nicht betreiben.
Eigentlich sollte dieses Jahr noch ein neues Selbstbestimmungsgesetz das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz ablösen und das Leben für trans- und intergeschlechtliche Menschen verbessern. Wegen mangelnder Priorisierung müssen sie jetzt wohl noch mindestens ein halbes Jahr lang darauf warten. Welche Herausforderungen der queere Alltag bedeutet, zeigt die Filmemacherin Mo Asumang in ihrem beeindruckenden Film “Mo Asumang und der Streit ums queere Leben”.
Aktuelles
Bunter Teller
- “Wir befinden uns im Jahre 50 vor Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt.” – von Römern, die ordentlich Prügel beziehen. Mehr als 700 tödliche Verletzungen haben Düsseldorfer Neurochirurg*innen bei der Analyse von Asterix-Comics gezählt. Die Studie ist bereits 2011 erschienen, das Lesen lohnt sich aber auch heute noch. Auf Twitter gibt’s eine Kurzfassung.
- Im “Alzheimer-Dorf” im Süden Frankreichs können die Bewohner*innen trotz der Erkrankung so selbstbestimmt wie möglich leben. Wie das Modellprojekt zum Erfolg werden könnte, zeigt diese Arte-Reportage.
- Deutschland sollte Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr über das Strafgesetzbuch regeln, sagen die Juristinnen Céline Feldmann und Valentina Chiofalo. Nicole Opitz hat sie für die taz gefragt, was sich dadurch ändern würde.
- “Ist LSD das verbotene Wundermittel gegen Depressionen?” – Martin Gommel hat für Krautreporter nach Antworten gesucht.
- Partydrogen sind vor allem dann ein Problem, wenn sie Teil des Alltags werden. Das sagte uns der Suchtmediziner Gernot Rücker im Oktober im Interview. Auf dem Funk-Kanal “Die Frage” erzählen drei Personen, wie Drogen bei ihnen von der Party ins normale Leben gekommen sind. Und es geht darum, wie es nun für die drei weitergehen kann.
- Einen Ritt durch die Bandbreite an Ungleichheit – über Erben, Vermögen und Renten – wagt Journalistin und Autorin Julia Friedrichs zu Gast im über zweistündigen Interview bei Jung & Naiv.
- In Sachsen-Anhalt gibt es ausreichend viele Psychotherapeut*innen. Das sagen zumindest die offiziellen Zahlen. Warum viele Patient*innen trotzdem monatelang auf einen Therapieplatz warten müssen, hat Maren zusammen mit Leonhard Eckwert und Anne Sailer für MDR Sachsen-Anhalt recherchiert.
Ausblick
Na, hat dir etwas in unserem Jahresrückblick gefehlt? Auch wir haben unsere Blindspots. Lass es uns unbedingt wissen.
Nicht nur aus sozialmedizinischer Perspektive war 2022 ein ereignisreiches Jahr. Während wir an dieser Ausgabe gearbeitet haben, hat uns die Nachricht erreicht, dass Elon Musks Twitterkauf auch uns beeinflusst. Denn die Plattform Revue, über die wir euch, seitdem es uns gibt, erreichen, gehört seit 2021 zu Twitter. Im Zuge der Übernahme wird sie kommenden Januar eingestellt.
Aber keine Sorge: Wir arbeiten schon an einer Alternative, um dich im kommenden Jahr genauso zuverlässig zu erreichen wie bisher. Mit einer kleinen Neujahrspause im Januar freuen wir uns, dich am 16. Februar wieder in deinem Postfach zu begrüßen.
Bis dahin wünschen wir dir hoffentlich ein paar erholsame Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Danke, dass du uns so treu begleitest.
Deine
Maren und Sören
Anhang
Transparenz
Rund um medizinische Themen sind Transparenz und Vertrauen wichtig. Darum stellen wir am Ende jeder Ausgabe unsere Quellen vollständig dar. Auf der Website ist unser journalistisches Selbstverständnis festgehalten.